Scheitern muss schmerzen

Nassim Taleb sagt in seinem Buch "Das Risiko und sein Preis": Wer entscheiden will, muss auch riskieren. Das gilt nicht nur für Banker, sondern für jeden.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Gregor Heppel

Skin in the Game, namensgebende Tugend von Nassim Nicholas Talebs neuestem Buch und übersetzt „die eigene Haut riskieren“, könnte man auch konkreter aus-drücken: Auge um Auge. Hammurabis Gesetz legte vor 3800 Jahren die ersten erhaltenen Normen fest. Die bekannteste Anordnung: „Wenn ein Baumeister ein Haus baut, und das Haus bricht später zusammen und verursacht den Tod des Hausbesitzers, ist der Baumeister hinzurichten.“ Was damals verborgene Schwachstellen in der Bausubstanz waren, sind heute etwa verborgene Risiken im Finanzgeschäft. Mit der Ausnahme, dass die Banker nichts zu befürchten haben, wenn das System zusammenbricht. Hammurabis Bestrafung ist heute zu Recht nicht mehr üblich. Aber das Prinzip sollte Taleb zufolge bestehen bleiben.

Leider sei genau das nicht mehr der Fall. Für den Essayisten und Risikoforscher Taleb liegt darin die Ursache für viele Fehlentwicklungen. Taleb schreibt aus eigener Erfahrung: Er war früher Trader an der Wall Street. Im Gegensatz zu den anderen Tradern interessierte er sich für die unwahrscheinlichsten Ereignisse, Schwarzer Schwan genannt. Taleb wettete auf genau diese Ereignisse. 2008 crashten die Lehman Brothers, und Taleb hatte gewonnen. Daraus entstand sein Bestseller „Der Schwarze Schwan“.

In seinem neuen Buch widmet er sich den psychologischen Mechanismen, die Crashs wie diese auslösen – und zwar nicht nur im Finanzsektor. Er schreibt, damit ein System „antifragil“ wird, muss es aus Fehlern lernen können. Nur wer schmerzhaft stürzt, ändert sein Verhalten. Aber genau dieser Lernprozess finde zunehmend weniger statt. Ein unfähiger Pilot landet schnell auf dem Meeresboden, aber ein Banker kann seine riskanten Geschäfte endlos weiterführen und ein Journalist schreiben, was er möchte. Unter ihren Entscheidungen leiden andere.

Verhalten entkoppelt sich zunehmend von den Folgen. Das führt dazu, dass der Zug-Designer die Kanten abschrägt, auf denen Taleb gern seinen Kaffee abstellen möchte, und dass der Städteplaner nicht so plant, wie er selbst gern wohnen würde. Der Restaurant-besitzer hingegen riskiert jeden Tag seine Haut, daher ist ihm die Meinung seiner Gäste wichtiger als die anderer Gastronomen.

Für Taleb zählt, was in der Praxis funktioniert. Er traut lieber seiner Großmutter als dem „Bullshit“ irgendwelcher „Intellektuellen, also Idioten“, die ihr Wissen nur aus Büchern haben, deren Autoren ihr Wissen ebenfalls nur aus Büchern haben.

„Skin in the Game“ polarisiert, stößt es doch einen großen Teil der Menschen systematisch vor den Kopf. Dennoch macht das Buch Spaß. Talebs Ritt geht vom römischen Kaiser Julian Apostata über Wittgenstein bis zu Donald Trump: Man erfährt viel, wundert sich manchmal, was die Anekdote mit der These zu tun hat – und fragt sich am Ende: Wie viel Haut riskiere ich eigentlich selber?

Nassim Taleb: Das Risiko und sein Preis – Skin in the Game, Penguin Verlag, 384 Seiten, 26 Euro (E-Book: 19,99 Euro)

(anwe)