Deutschland verweigert die Nährwert-Ampel

Eine augenfällige Information über den Nährwert-Gehalt von Lebensmitteln könnte Verbrauchern eine gesunde Ernährung erleichtern. Bundesernährungsministerin Julia Klöckner sieht das anders.

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Von
  • Inge Wünnenberg

Harte Fakten waren leider nicht das Ergebnis des zweiten Deutschen Zuckergipfels in Berlin. Unter dem Motto "Süß war gestern" versammelten sich zwar Mitte Oktober Teilnehmer aus Politik, Wissenschaft, Gesundheitswesen und Wirtschaft, wie die Ärzte Zeitung auf ihrer Webseite berichtet. Aber man einigte sich mit Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) lediglich auf eine Grundsatzvereinbarung. Dieser Plan sieht vor, dass sich die Ernährungsindustrie ab 2019 verpflichtet, den Gehalt an Zucker, Fetten und Salz in ihren Fertiggerichten zu reduzieren. Doch weder der genaue Ablauf noch die bis 2025 zu erreichenden Ziele wurden bereits festgelegt.

Allein bei Säuglingen und Kleinkindern will die Ministerin eine Ausnahme machen, wie es in einer Pressemitteilung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft heißt: Hier soll bis Ende 2019 die Diätverordnung geändert werden. Verboten werden soll der Zusatz von Zucker und süßenden Zutaten in Säuglings- sowie Kindertees und auch in Kindermilch. Gelten würde die Regelung bei Produkten für Kinder bis zum dritten Lebensjahr. Ein Fortschritt immerhin, aber er ist zu klein.

Die Zurückhaltung der Ministerin überrascht nicht. Klöckner hatte schon bald nach ihrem Amtsantritt Mitte März eine Initiative von mehr als 2000 Ärzten zurückgewiesen. Die Kinderärzte, aber auch Diabetologen und Professoren hatten in einem offenen Brief gefordert, ernst zu machen mit der Prävention von Fettleibigkeit, Diabetes und anderen chronischen Krankheiten. Doch eine Zuckersteuer kommt für die Ernährungsministerin nicht infrage, was schon im Frühjahr ein TR-Blog kritisierte.

Dennoch äußerte Klöckner in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in diesem Sommer: "Wenn die Verbraucher ausreichend über Lebensmittel Bescheid wissen und wir weniger Zucker, Fette und Salz über Fertignahrungsmittel aufnehmen, ist schon viel erreicht." Da überrascht es, dass die Ministerin den Verbrauchern gerade solch einfach zugängliche Informationen en detail verweigert. Neben Großbritannien und Belgien hat zum Beispiel Frankreich bereits die farbkodierte Lebensmittelkennzeichnung Nutri-Score eingeführt: Das System ordnet die Produkte auf einer Skala zwischen einem dunkelgrünen A (der Bestbewertung) und einem roten E ein.

Dem Tagesspiegel gegenüber sagte Klöckner im April über Maßnahmen wie die Zuckersteuer: "Was habe ich denn davon, wenn ein Lebensmittel mit ,weniger Zucker' beworben wird, dafür aber viel Fett und Salz enthält, um den Geschmack zu stabilisieren?" Aber wäre nicht genau dies der Ansatz für eine Lebensmittelampel? Sie würde das Gesamtprodukt – besonders interessant bei für den für Laien schwer zu beurteilenden stark verarbeiteten Erzeugnissen – bewerten und eben nicht nur einzelne Inhaltsstoffe herausstellen.

Selbst ein Hersteller aus der Riege jener Konzerne, die sich bisher vehement gegen solche Lebensmittel-Kennzeichnungen wehrten, unternahm jetzt einen Vorstoss in die richtige Richtung. Der französische Konzern Danone kündigte auf seiner deutschen Webseite an, ab Anfang des kommenden Jahres seine "Milchfrischeprodukte" entsprechend zu kennzeichnen: "Nutri-Score erleichtert den Konsumenten, die Lebensmittel auszuwählen, die ihren Anforderungen in Bezug auf die Nährwertqualität entsprechen. In unserem Sortiment decken wir die unterschiedlichen Bedürfnisse unserer Konsumenten ab – ob mit Naturjoghurt, verschiedenen Fruchtjoghurtvarianten oder unseren Dessertprodukten."

Würde das nicht gerade auch der Mündigkeit des Verbrauchers entgegenkommen, die Ministerin Klöckner so wichtig ist, wenn sie im FAZ-Interview sagt: "Mein Ziel ist, dass für den Verbraucher die gesunde Wahl zur leichten Wahl wird, damit wir uns ausgewogener und besser ernähren"? Sie erläuterte in dem Gespräch ihre Auffassung ausführlich: "Es geht nicht um plakative Beispiele wie Kartoffelchips, sondern um Zucker, Fett und Salz in allen möglichen verarbeiteten Lebensmitteln. Eine pauschale Aussage wie ,Das ist gut, also grün, das andere schlecht, also rot' funktioniert hier nicht. Zudem setze ich auf klare Fakten und Zahlen. Die sagen bei dieser Frage ganz eindeutig, dass es keine wissenschaftliche Evidenz dafür gibt, welche Bezugsgrößen für eine grüne, gelbe oder rote Kennzeichnung heranzuziehen sind."

Dieser Einschätzung würden wahrscheinlich nicht nur viele Wissenschaftler oder auch die Weltgesundheitsorganisation WHO widersprechen. Nicht einmal die Industrie scheint Klöckners Auffassung zu teilen. Sonst würde Danone nicht wie selbstverständlich davon ausgehen, dass es möglich ist, einen Nutri-Score zu errechnen, anhand dessen Verbraucher auf einen Blick die Nährwertqualität eines Produktes erkennen können. Vielleicht wäre es auch für Deutschland an der Zeit, die Verbraucher besser und augenfälliger über die Qualität von Lebensmitteln zu informieren. Zu welchen Produkten der Konsument am Ende greift, bleibt immer noch ihm selbst überlassen.

(inwu)