Doppelte Strategie gegen Fettleibigkeit

Diätversprechen gibt es im Dutzend billiger. Eine neue Wirkstoffkombination soll nun tatsächlich größere Erfolge gegen Adipositas erzielen.

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Von
  • Anton Weste

Fast ein Viertel der deutschen Bevölkerung ist übergewichtig. Das ist ein Problem. Adipositas begünstigt viele Erkrankungen und gilt unter anderem als größter Risikofaktor für die Entwicklung von Diabetes Typ 2. Noch mehr als den Körper beherrscht das Thema Körpergewicht aber den gesellschaftlichen Geist: Medien propagieren Übungen für Bauch-Beine-Po, empfehlen kalorienarme Rezepte, spekulieren über die vermeintlichen Traummaße von Prominenten.

Kein Wunder, dass über alle Kanäle Werbung für Diäten rauscht: Fatburner und Schlankheitskuren in hundert Variationen versprechen jedes Mal aufs Neue erstaunliche Wirkungen, ganz gleich wie wenig belegt der Effekt ist. Bei wem es nicht wirkt, der hat eben einen individuell unpassenden Stoffwechsel oder die Sache nicht konsequent genug verfolgt. Man muss ja den Selbstzweifel der Kunden irgendwie für sich nutzen. Ab zur nächsten Diät, den nächsten Umsatz ankurbeln.

In diesem von werblichen Halb- und Unwahrheiten beackerten Feld hat es seriöser Fortschritt schwer, Aufmerksamkeit und Vertrauen zu gewinnen. Möglicherweise ist Wissenschaftlern des Helmholtz Zentrums München und der Technischen Universität München kürzlich so ein Fortschritt gelungen. Sie haben eine Kombinationstherapie gegen Übergewicht entwickelt, die gleichzeitig den Appetit zügelt und den Energieverbrauch erhöht. Ihre Forschungsergebnisse haben sie in Nature Communications veröffentlicht.

Die erste Komponente simuliert die stärkere Fettverbrennung des Körpers bei niedrigen Temperaturen. Sie aktiviert auch in warmer Umgebung mit dem Molekül Icilin spezielle Wärmerezeptoren, die einen höheren Energieumsatz veranlassen.

Die zweite Komponente spricht mit dem Molekül Dimethylphenylpiperazin (DMPP) sogenannte nikotinerge Acetylcholinrezeptoren (nAChR) von Nervenzellen im Hypothalamus an, die ein Sättigungsgefühl erzeugen. So sinkt der Appetit. In adipösen Mäusen führte die Behasndlung mit dem Appetitzügler nicht nur zu einer Reduzierung der Nahrungsaufnahme, sondern auch zu einer Verbesserung des Zuckerstoffwechsels.

Das Besondere ist, so schreiben die Forscher, dass die Wirkstoffkombination besser wirke als die aufsummierten Effekte der beiden Einzeltherapien. Der Grund ist noch unklar und soll Gegenstand weiterer Forschung sein. „Die Ergebnisse dieser Studien können wichtige neue Erkenntnisse liefern, wie Moleküle sich gegenseitig in ihrer Wirkung verstärken, was maßgeblich die Entwicklung zukünftiger Therapien verbessern könnte“, so Timo Müller vom Institut für Diabetes und Adipositas.

Das klingt gut. Aber gut zu klingen, das ist auch die wichtigste Eigenschaft in der Werbung für windige Diätpilen, die selbstverständlich "nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen" hergestellt wurden (sofern sie nicht "ein seltsamer alter Trick" sind). Ob wir es wirklich mit einem tiefgreifenden Fortschritt gegen Adipositas zu tun haben, muss sich noch zeigen. Im besten Fall kommt eine Art Aspirin auf den Diätmarkt, das dank seiner Effektivität den Zoo an halbgaren Produkten verdrängt. Im schlechteren Fall reiht sich in den nächsten Jahren die Wendung "nach der Icilin-DMPP-Methode" in die lange Reihe der Slogans mäßiger Diätversprechen ein.

(anwe)