Open Source Summit Europe: Realtime-Erweiterungen bald im Linux-Kernel

Laut Konferenzvorträgen sollen die Echtzeit-Patches bald in Linux einfließen. Außerdem habe sich die Zusammenarbeit beim Handling von CPU-Lücken verbessert.

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Open Source Summit Europe: Realtime-Erweiterungen bald im Linux-Kernel

(Bild: Siggy Nowak, gemeinfrei)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Thorsten Leemhuis
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Nach einem Jahrzehnt des Witzelns soll es im nächsten Jahr endlich wirklich so weit sein: Der Linux-Kernel soll von Haus aus Echtzeitfähigkeiten mitbringen. Das ließen an den Erweiterungen beteiligte Entwickler auf dem diese Woche in Edinburgh abgehaltenen Open Source Summit 2018 durchblicken.

Kernel-Entwickler und LWN.net-Chef Jonathan Corbet erwähnte in einer Keynote, dass es deutliche Fortschritte bei der Zusammenarbeit mit Prozessorherstellern gegeben hat, wenn es um das Stopfen von Sicherheitslücken in CPUs geht.

Spätestens bis zur nächsten Linux-Version mit Langzeitpflege soll der Kernel alles mitbringen, um gängige Echtzeit-Anforderungen zu erfüllen. Bislang muss man dazu auf die als "RT-Patches" oder "PREEMPT_RT" bekannten Realtime-Erweiterungen zurückgreifen, die Entwickler im Rahmen des RT-Projekts entwickeln. Viele dort vorangetriebene Techniken sind in den vergangenen fünfzehn Jahren bereits in den Linux-Kernel eingezogen, daher ist der RT-Zweig dieser Tage deutlich kompakter.

Der RT-Tree enthält aber nach wie vor Patches, die Basistechniken von Linux grundlegend verändern. Laut einigen RT-Entwicklern stehen die Chancen aber gut, dass diese Erweiterungen innerhalb des nächsten Jahres in die offiziellen, via Kernel.org verteilten Linux-Quellen einziehen.

Das ist vor allem für Embedded-Firmen interessant, die Linux in Bereichen einsetzen wollen, wo Echtzeitfähigkeiten gefragt sind, wie es häufiger bei der Maschinenstreuung der Fall ist. Für Desktop-Nutzer ist das Ganze weniger Interessant: Ein mit der Config-Option CONFIG_PREEMPT_RT für Echtzeitzwecke konfigurierter Kernel kann zwar mit etwas schnelleren Reaktionszeiten glänzen; in manchen Performance-Tests sind solche Kernel aber ein klein wenig langsamer, eben weil sie halt im Zweifel schnell auf andere Dinge reagieren können – gerade beim Testen des maximalen Durchsatzes von Datenträgern oder Netzwerkverbindungen schlagen sich so konfigurierte Kernel daher etwas schlechter. Die Standard-Kernel vieler auf Desktop-PCs und Server ausgerichteten Distributionen werden die Echtzeitfähigkeiten daher vermutlich nicht bieten.

Im "Kernel Report" ging Linux-Entwickler und LWN.net-Chef Jonathan Corbet auf einige der derzeit wichtigsten Aspekte der Linux-Entwicklung ein. Er erwähnt dabei etwa die Probleme bei der Zusammenarbeit mit Prozessorherstellern, die es beim Handling der Sicherheitslücken Spectre und Meltdown gab.

So hätten die Prozessorhersteller die Linux-Distributoren erst recht spät informiert und dabei noch Vertraulichkeitsvereinbarungen (Non-Disclosure Agreement/NDA) erzwungen; Entwickler unterschiedlicher Linux-Distributoren konnten daher nicht miteinander reden, sodass sie nicht gemeinsam an Gegenmaßnahmen arbeiten konnten, wie es sonst üblich ist. Solche Dinge hätten zu vielen Problemen und Verzögerungen beim Stopfen der Lücken geführt. Corbet erwähnt aber auch, dass die Prozessorhersteller daraus gelernt hätten: Bei der rund ein halbes Jahr später bekannt gegebenen Lücke L1TF/Foreshadow sei die Zusammenarbeit deutlich besser gelaufen, daher standen die Gegenmaßnahmen gleich zum Bekanntwerden der Lücke bereit.

Corbet geht auch auf Probleme rund um die die Langzeitpflege des Linux-Kernels ein. Er reißt zudem Möglichkeiten und Gefahren des BPF an, der derzeit bei Linux für viel Aufsehen sorgt und bei einer Reihe neuer Funktionen involviert ist.

Auch auf den Verhaltenskodex (Code of Conduct) für Entwickler geht Corbet ein, den Linux seit kurzem hat. Er stellt den Code of Conduct dabei als weiteren Schritt dar, um den Linux-Kernel in einer sich ändernden Welt für aktuelle und zukünftige Entwickler attraktiver zu machen. Er vergleicht das mit früheren Entwicklungen, die bei der Einführung kritisch beäugt wurden und ebenfalls zu langen Diskussionen führten – darunter die Nutzung eines proprietären Quellcodeverwaltungssystem oder die konstante Entwicklung, durch die alle zehn Wochen neue Linux-Versionen mit größeren Änderungen erscheinen. All diese Sachen waren letztlich ein Schritt in die richtige Richtung und hätten positive Signalwirkungen gehabt; den Verhaltenskodex stellt Corbet als den nächsten solchen Schritt dar.

Die vielfach informationsreichen Präsentationsfolien vieler Vorträge stehen bereits online. Video-Aufzeichnungen einiger Vortagsstränge sollen bald folgen. Einzelne Vortragsvideos von der Konferenz sind bereits auf YouTube abrufbar.

Von zwei anderen im Rahmen des Summits abgehaltenen Konferenzen sollen alle Vorträge in den nächsten Wochen ins Netz wandern; wer so lange nicht warten mag, finden die Präsentationsfolien vieler Vorträge von der Embedded Linux Conference Europe (ELEC) 2018 und dem KVM Forum 2018 bereits jetzt im Netz.

Insgesamt kamen laut Linux Foundation rund 2500 Teilnehmer zur Konferenz nach Edinburgh – nochmal knapp fünfhundert mehr als in den letzten Jahren und damit so viel wie nie zuvor.

Im Rahmen der Veranstaltung gab das Firmenkonsortium noch einige Neuigkeiten bekannt. So hat die Linux Foundation im September 33 neue Silber-Mitglieder und 11 Associate Members begrüßen können. Im Rahmen des diesjährigen Linux Foundation Training (LiFT) Scholarships hat das Konsortium ferner 31 "Open Source Training Scholarships" vergeben, durch die die Stipendianten persönliche Schulungen oder Zugang zu Online-Kursen erhalten.

Ferner sind Sony Pictures Entertainment/Sony Pictures Imageworks, Warner Bros., Blender Foundation und Visual Effects Society (VES) der Academy Software Foundation beigetreten – der im August zusammen mit der Oscar-Organisation gegründeten Stiftung, die den Einsatz von freier Software in der Filmwirtschaft stärken will. Sie hat jetzt die Pflege von OpenVDB übernommen, das etwa Funktionen zur Flüssigkeitssimulation bereitstellt.

Disclaimer: Die Linux Foundation hat die Reisekosten des Autors zur von ihr ausgerichteten Konferenz übernommen. (thl)