IBMs Übernahme von Red Hat: Das sagen unsere Developer-Autoren

heise Developer hat seine Autoren um Bewertungen der Red-Hat-Akquisition gebeten. Ihr Urteil fällt gemischt aus.

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IBMs Übernahme von Red Hat: Das sagen unsere Developer-Autoren
Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Alexander Neumann

Einem Paukenschlag kam die Meldung am Sonntagabend gleich, dass IBM den Open-Source-Pionier Red Hat übernehmen will. Zentrales Ziel der Akquisition ist es anscheinend, Big Blue zum größten Anbieter von Hybrid-Cloud-Services zu machen. Dass es noch viele andere Berührungspunkte gibt, die das Potenzial, aber auch die Gefahren der Übernahme verdeutlichen, hat die gestrige Analyse von Volker Weber, einem langjährigen Autor von c't, iX und heise online, klargestellt.

heise Developer hat nun ausgewählte Autoren des Online-Channels um weitere Meinungen gebeten. Den Auftakt macht Harald Weiss, Berichterstatter von vielen Konferenzen für heise online. Er sieht den Red-Hat-Deal skeptisch:

"IBM und Red Hat kooperieren beim Cloud-Business schon sehr lange und sehr eng. Red Hat soll weiterhin getrennt geführt werden, da dessen Kultur nicht mit IBM kompatibel ist. Wozu also die Fusion? Cross-Selling hätte man auch mit einer Vertriebsvereinbarung erreichen können. Ich glaube eher, man hofft hier, dass wenn man zwei Kranke ins Bett legt, ein Gesunder wieder aufsteht."

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Golo Roden, Gründer und CTO von the native web sowie Blogger auf heise Developer, hat ebenfalls so seine Zweifel. Das liegt laut ihm vor allem an IBMs bisherigem Cloud-Geschäft:

"Die Übernahme von Red Hat durch IBM stimmt mich skeptisch: IBM hat es in den vergangenen Jahren versäumt, ein eigenes nachhaltiges Cloud-Geschäft aufzubauen, das eine ernstzunehmende Alternative zu AWS, Azure oder der Google Cloud Platform darstellen könnte. Der IBM Cloud (ehemals Bluemix) kommt im Vergleich nur eine verhältnismäßig geringe Relevanz zu. Stattdessen wurde primär Aufwand in die überbewertete KI-Entwicklung Watson gesteckt – wobei sich die Erwartungen hier zumindest bislang nicht in dem erhofften Maß erfüllt haben.

Nun soll es also Red Hat richten. Das Unternehmen soll dabei unter der Führung von IBM eigenständig bleiben, ähnlich wie GitHub unter der Führung von Microsoft. Ob das dauerhaft gilt, bleibt abzuwarten: In der Vergangenheit hat IBM aufgekaufte Unternehmen langfristig eher integriert und deren Produkte über kurz oder lang auslaufen lassen – man denke beispielsweise an Lotus. Insgesamt erinnert mich das Ganze leider in hohem Maß an die Schlagzeile "Microsoft kauft Nokia", und ich bin gespannt, ob sich meine Skepsis im Lauf der Zeit als begründet erweist. Für Red Hat wünsche ich mir, dass sie unbegründet ist."

In eine ähnliche Kerbe schlägt Dotnet-Doktor Holger Schwichtenberg, der den Umgang mit bisherigen Übernahmen anmahnt:

"Ich hatte letztens im Gespräch mit einem IBM-Kunden noch festgestellt, dass der einstige Hard- und Softwaregigant IBM in den 23 Jahren, die ich im IT-Berufsleben bin, zunehmend an Bedeutung verloren hat. Der Aufkauf von Red Hat könnte ein Weg zurück zu mehr Relevanz sein, wenn man die erworbenen Produkte nicht genauso verkümmern lässt wie die Zukäufe von Lotus, Informix und Rational. Ich bin gespannt, welche der vielen Red-Hat-Produkte – außer vermutlich Fedora/RHEL und OpenShift – IBM wirklich langfristig weiterführt und welche dann an Partner wie HCL (vgl. Informix und Notes/Domino) weitergereicht werden."

Rodens Blogger-Kollege Eberhard Wolff ist eher zuversichtlich gestimmt, vor allem weil Red-Hat-Kunden von der Übernahme profitieren können:

"IBM ist jetzt mehr als einhundert Jahre in dem sehr wettbewerbsintensiven IT-Bereich relevant. Das haben nicht viele geschafft. In der Unternehmensgeschichte hat IBM Geschäftsfelder wie das PC-Geschäft aufgebaut und wieder abgestoßen, wenn sie nicht mehr zukunftsfähig waren. Nur der ständige Wandel kann ein solches Unternehmen langfristig weiter bringen. Heute ist IBM eine der größten Unternehmungsberatungen der Welt und hat ein großes Cloud-Geschäft. Aber Umsatz und Gewinn stagnierten in den letzten Jahren.

Mit Red Hat kauft IBM Open-Source-Basis-Techniken, die es in das eigene Portfolio aufnehmen kann oder das Cloud-Geschäft unterstützen können. Red Hats Produkte sind nicht nur Linux, sondern auch Cloud, Java und Middleware. Das kann eine gute Ergänzung für IBM sein, aber das Unternehmen bezahlt für Red Hat einen Aufschlag von mehr als zwei Drittel gegenüber dem letzten Börsenkurs – nicht gerade ein Schnäppchen. Und die Red-Hat-Technologien sind auch eher klassisch als innovativ.

Immerhin hat Red Hat ein profitables Open-Source-Geschäft, was nicht viele geschafft haben. Ob das aber IBM wieder zurück in den Wachstumsbereich bringt, ist alles andere als klar. Für Red-Hat-Kunden ist IBM jedenfalls keine schlechte Lösung – schließlich ist auch IBM schon lange im Open-Source-Bereich aktiv und steht wie kein anderes Unternehmen für Stabilität."

Michael Stal, Chefredakteur des JavaSpektrum und Softwarearchitekt bei Siemens, traut IBM tatsächlich zu, durch die Übernahme zu den drei großen Cloud-Anbietern aufzuschließen:

"34 Milliarden US-Dollar – das muss man sich als Beobachter erst einmal auf der Zunge zergehen lassen. IBM beweist Mut, weil es mit dem Erwerb von Open-Source-Primus Red Hat die höchste Akquisition seiner Firmengeschichte tätigt. Red Hat steht für Linux, für Middleware, für Cloud-Techniken, aber auch für Services. Das passt alles wunderbar ins Portfolio von IBM, und umgekehrt profitiert natürlich auch Red Hat von dieser Win-Win-Situation, zum Beispiel durch Zugang zu Märkten.

Wie bei allen Mergers & Acquisitions kommt es aber auch bei dieser darauf an, dass IBM die Integration von Red Hat ins eigene Unternehmen gelingt. Dabei spielen die Mitarbeiter, unternehmenskulturelle Aspekte, das Zusammenführen der Produktportfolios, das Überzeugen der Kunden und viele weitere Faktoren eine wichtige Rolle. Hierbei lauern bekanntlich viele Stolperfallen.

Ich traue allerdings gerade IBM zu, diese Aufgabe zu meistern. Nicht zuletzt hat Big Blue schon früher bewiesen, dass es Zukäufe sorgfältig planen und erfolgreich integrieren kann. Meiner Meinung nach könnte es durch diesen Schachzug gelingen, das Konglomerat aus IBM und Red Hat als Big Player im Cloud-Business zu etablieren – neben Unternehmen wie Microsoft, Amazon, Google. Auf jeden Fall bringt die Akquisition frischen Wind in den Markt."

Lars Röwekamp, Gründer des IT-Beratungsunternehmens open knowledge, war wie die meisten anderen überrascht, sieht aber die Übernahme letztlich als konsequenten Schritt der vergangenen Entwicklung bei IBM:

"IBM kauft Red Hat. Was für ein Paukenschlag! Das war zumindest meine erste Reaktion, als ich am Wochenende die entsprechende Meldung las. Oracle oder Google, OK. Aber IBM? Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Und so erging es scheinbar nicht nur mir. Die Reaktion etlicher Red-Hat-Mitarbeiter auf Twitter spricht Bände und zeigt deutlich, dass selbst innerhalb ihres Unternehmens kaum jemand von der anstehenden Übernahme wusste.

Dabei ist die Akquise bei näherem Hinsehen nur die logische Konsequenz des von IBM bereits vor Jahren eingeschlagenen Weges in Richtung Open Source. Denn wenn man sich einmal den hauseigenen Cloud-Stack genauer anschaut, findet sich dort mittlerweile das Who's Who der Cloud-native-Open-Source-Community. IBM präferiert im Umfeld der Cloud schon seit Längerem bewusst die Integration etablierter Open-Source-Techniken und hofft so insbesondere für Kunden, die einen Vendor-Lock-in vermeiden wollen, von erhöhtem Interesse zu sein.

Mit der anstehenden Akquise kauft man sich nun weitere, hochintegrierte Lösungen hinzu. Die Produkte von Red Hat decken in Summe nahezu alle Ebenen des Cloud Computing (IaaS, PaaS, BaaS) ab. Ein kluger, wenn auch sehr teurer Schachzug, welcher das Unternehmen in dem nach wie vor großen Wachstumsmarkt Cloud definitiv einen Riesenschritt nach vorne bringen kann."

Angesichts der Größe des Unterfangens bleibt es nicht aus, dass die Meinungen zur Übernahme gemischt ausfallen, und hier wurde nur wenig darauf eingegangen, dass sich das Portfolio beider Unternehmen gerade im Entwicklerumfeld an einigen Stellen überschneidet (z. B. WildFly/JBoss vs. WebSphere/Open Liberty oder JBoss Developer Studio vs. Rational Application Developer for WebSphere).

Wie sehen Sie, liebe Leser von heise online, die Übernahme? Wir freuen uns auf Ihre Meinungen im Forum zu dieser Sammlung von Meinungen. (ane)