Alle Mann von Bord

In der Deutschen Bucht erproben Entwickler fern gesteuerte und autonome Schiffe. Wir unternehmen eine Testfahrt vor Wilhelmshaven.

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Alle Mann von Bord

Mitarbeiter von Raytheon testen auf der „Senckenberg“ eine Software für Ausweichempfehlungen.

(Bild: Foto: Axel Hahn/ OFFIS)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Peter Ringel

Im Jade-Weser-Port hieven nebelumhüllte Containerbrücken eine Blechbox nach der anderen aus der „Manila Maersk“. Touristen bestaunen den rund 400 Meter langen Frachter von der Backbordreling eines Ausflugsdampfers aus. Und verpassen dabei steuerbords einen Blick auf die Seefahrt der Zukunft: Mitten im Fahrwasser sind zwei Schiffe auf Kollisionskurs – die „Senckenberg“ und die „Zuse“. Auf den digitalen Seekarten in den Cockpits leuchtet ein rotes X auf. Es markiert die Stelle für das Manöver des letzten Augenblicks. Arne Lamm am Steuerrad der „Zuse“ nutzt sie zum Abdrehen. Das Motorboot rauscht knapp am Forschungskutter vorbei. Der Informatiker mit Sportbootführerschein pustet erleichtert durch, auch wenn er heute schon zum dritten Mal geradewegs auf den 30-Meter-Kutter zuhalten musste. Mit dem Manöver testet er ein neues Assistenzsystem, das Kollisionen vermeiden soll. Diese Technik braucht es auch, wenn ein Autopilot oder ein Kapitän an Land das Kommando übernimmt. Künftig könnten Schiffe vom Kutter bis zum Frachter ohne Steuermann unterwegs sein.

„Ziel ist das autonom fahrende Schiff“, sagt Axel Hahn vom Oldenburger Institut für Informatik Offis, das die Software mitentwickelt. Zumindest auf der Brücke soll es keine menschliche Interaktion mehr brauchen. Zu den Projektpartnern gehört neben dem Marineausrüster Raytheon Anschütz auch Airbus.

Ein Grund sind sinkende Personalkosten. Sie können bei Containerschiffen deutscher Reeder mehr als 40 Prozent der gesamten Betriebskosten betragen. Das eigentliche Argument aber ist die Sicherheit: Laut einer Allianz-Studie gehen mehr als drei Viertel aller Seeunfälle auf Menschen zurück. Die Hauptursachen sieht die Studie in hohem Wettbewerbsdruck und Müdigkeit.

Dass es ohne Steuermann geht, hat die „Zuse“ mit ihrer quasi autonomen Jungfernfahrt von Wilhelmshaven nach Cuxhaven bereits im September 2017 bewiesen. Hinter einer Bodenluke in der engen Kajüte verbirgt sich ein Raspberry Pi, der auf die Hydraulik des Ruders und den Gashebel zugreift. Legt man zwei Schalter unter dem Steuerrad um, lässt sich das Boot per Autopilot oder von Land aus steuern.

Die Verbindung läuft per LTE und UKW über sogenannte Navibox-Stationen in Cuxhaven, Brunsbüttel und Wilhelmshaven. Bemannt war das Forschungsboot damals nur aus rechtlichen Gründen.

Doch das maschinelle Kurshalten ist nicht das eigentlich Anspruchsvolle. Frachter nutzen das Verfahren auf ihrem Weg über die Ozeane bereits seit Langem. Schwieriger ist es, auch bei Wind und Wellen ein exaktes maritimes Lagebild zu bekommen. Aktuelle Kollisionswarnsysteme rechnen lediglich Position, Tempo und Kurs anderer Schiffe linear weiter. Das führt oft zu Fehlalarmen, wenn etwa der angebliche Kollisionspunkt außerhalb des Fahrwassers oder gar an Land liegt. „An Bord schalten die Nautiker diese Systeme oft ab“, sagt Lamm.

(grh)