Heilung per Virus

Tom Patterson starb beinahe an multiresistenten Keimen. In letzter Sekunde rettete ihn eine Therapie mit Viren. Sie könnte der Durchbruch im Kampf gegen Erreger sein, bei denen kein Antibiotikum hilft.

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Heilung per Virus

Tom Patterson lag im Sterben – bis ihn die Idee seiner Frau Steffanie Strathdee rettete.

(Bild: Foto: UC San Diego Health)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Inge Wünnenberg

Tom Patterson war sterbenskrank. Er lag monatelang im Koma. Auf der Intensivstation im Krankenhaus der University of California in San Diego konnte ihm im Frühjahr 2016 nichts mehr helfen – jedenfalls kein Antibiotikum. Seine Organe begannen zu versagen. Denn sowohl sein Blut als auch sein Bauchraum waren befallen von dem vielfach resistenten Erreger Acinetobacter baumannii. Der auch als „Iraqibacter“ bekannte Keim erhielt diesen Spitznamen, weil er während des Irakkriegs bei vielen Soldaten für schlecht heilende Wunden sorgte. Patterson hatte sich während eines Urlaubs in Ägypten Ende 2015 eine Variante davon eingefangen. Nach seiner Rückkehr in die kalifornische Heimat stellte sich heraus, dass sie gegen sämtliche Antibiotika, auch die sogenannten Reserve-Antibiotika, resistent war.

Aber Patterson hatte enormes Glück. Seine Frau Steffanie Strathdee ist Leiterin des Global Health Institute der Uni in San Diego, und sie hatte von einer Therapie gehört, die in solchen Fällen Wunder wirken kann: Viren, und zwar eine Variante, die ausschließlich Bakterien befällt – sogenannte Bakteriophagen. Bereits vor gut hundert Jahren entdeckt, bergen sie ein ungeheures Potenzial für den Kampf gegen bakterielle Infektionen. Denn die Phagen, die nicht aus sehr viel mehr als ihrem Erbmaterial und einer Hülle drum herum bestehen, sind jeweils auf bestimmte Bakterien spezialisiert. Ihre sogenannte lytische Variante (siehe Grafik) dringt in die Zellen ein und bringt den Wirt dazu, so viele neue Phagen zu produzieren, bis er am Ende platzt und eingeht.

Für Patterson schien eine Phagentherapie die letzte Chance auf Rettung zu sein. Das Problem war nur: Sie ist in den Vereinigten Staaten und Westeuropa nahezu unerprobt, eine generelle behördliche Zulassung gibt es nicht. Strathdee setzte zusammen mit dem behandelnden Arzt Robert Schooley, einem Spezialisten für Infektionskrankheiten, alle Hebel in Bewegung, um ausnahmsweise die Erlaubnis zu erhalten. Zum Glück reagierte die amerikanische Forscher-Community schnell. Während sich die US-Zulassungsbehörde FDA beeilte, eine Sondergenehmigung zu erteilen, stellten Wissenschaftler aus allen Teilen des Landes bereits geeignete Phagen bereit.

Die erste Ration gelangte über Schläuche in den Bauchraum, die nächste wurde ihm intravenös verabreicht. „Das Risiko eines septischen Schocks war groß“, sagt Strathdee, „aber nach drei Tagen schlug er die Augen auf.“ Inzwischen ist der 71-jährige Psychologe, der sich selbst als Wissenschaftler der Erforschung des Aids-Virus gewidmet hat, fast vollständig genesen. Pattersons Fall beflügelte in den USA die weitgehend brachliegende Forschung zum medizinischen Einsatz von Phagen. „Viren werden zu unseren besten Verbündeten gegen Bakterien werden“, prophezeit er.

Allein in den USA sterben jedes Jahr rund 23000 Menschen aufgrund von nicht behandelbaren bakteriellen Infektionen. Dafür verantwortlich ist oft eine der zwölf multiresistenten Bakterienfamilien, die auf der schwarzen Liste der Weltgesundheitsorganisation WHO versammelt sind. Trotzdem konnten die Mediziner aus San Diego seit Pattersons Heilung nicht mehr als eine Handvoll tödlich erkrankter Menschen mittels FDA-Sondererlaubnis behandeln. Strathdee will nun dafür sorgen, dass es nicht dabei bleibt. Seit dem Sommer leitet die Epidemiologin für Infektionskrankheiten gemeinsam mit Robert Schooley das neu gegründete Center for Innovative Phage Applications and Therapeutics (IPATH) an der University of California in San Diego. Dort will Strathdee endlich jene klinischen Studien starten, die am Ende allen Patienten eine Phagentherapie ermöglichen. Kürzlich kürte das „Time Magazine“ Strathdee sogar für das Jahr 2018 zu einem der 50 einflussreichsten Amerikaner auf dem Gesundheitssektor.

(inwu)