Zahlen, bitte! 11 Dokumente und eine schaurige Geschichte

IBM will Red Hat übernehmen. Die Ankündigung kommt zum 20. Jahrestag, als Microsoft mit den "Halloween Documents" die Linux-Gemeinde analysierte.

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Zahlen, bitte! 1.380648*10-23 - die Boltzmann-Konstante
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Von
  • Detlef Borchers
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Vor 20 Jahren veröffentlichte der Programmierer Eric S. Raymond zwei interne Dokumente, die der Microsoft-Manager Vinod Valloppillil für die Firmenleitung verfasst hatte. Sie sollten den Microsoft-Lenkern erklären, wie Open Source funktioniert und wie der Open-Source-Ansatz gestoppt werden könnte. Es war Halloween, als Raymond in den Besitz dieser Texte kam und so bildeten sie den Grundstock der schauerlichen Halloween-Dokumente. Bei ihrer Abfassung spielte Red Hat eine ganz besondere Rolle.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

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Im Februar 1997 wurde der von den US-Zeitschriften Infoworld und Computerworld vergebene Preis für das Betriebssystem des Jahres geteilt. Der Preis ging ging je zur Hälfte an Red Hat Linux und Microsoft Windows NT. In Redmond schäumten die Manager. Wie konnte es sein, dass eine kleine Klitsche in North Carolina mit nur 20 Beschäftigten, inklusive Telefon- und Empfangsdienst, einen Preis für ein obskures Linux bekam, das einem Windows NT ebenbürtig sein sollte, mit dem man gerade IBM aus dem Rennen gekugelt hatte? (Dieser Teil der Geschichte kann in der aktuellen c't retro ab Seite 70 nachgelesen werden.) Waren die Redakteure verblödet oder bestochen, war die Software abgekupfert, war gar die künftige NT-Entwicklung gefährdet?

Das Microsoft-Management unter Vizepräsident Jim Allchin verlangte wütend Antworten und bestellte mehrere Gutachten, die diese Fragen klären sollten. Unterschiedliche Teams untersuchten den Code und die Literatur zum Thema Linux. Oder sie schauten sich im Internet um.

Microsoft-Manager Vinod Valloppillil untersuchte die Geschichte von Red Hat und stieß gleich beim ersten Business-Plan der jungen Firma auf den Aufsatz "The Sourceware Operating System Proposal", den der Sun-Programmierer Larry McVoy im Jahre 1993 für Scott McNealy verfasst hatte. McVoy schlug dem Sun-Chef vor, entweder SunOS4 als Open Source zu veröffentlichen oder alternativ gleich Linux als Plattform für das nächste OS zu benutzen. Seine Erkenntnis: Gegen eine Community von fähigen freiwilligen Entwicklern kann keine Firma bestehen.

McVoys Aufsatz war zur Gründung von Red Hat zentral, wie sich Robert Young in seinen Memoiren "Der Red Hat Coup" erinnert. Zusammen mit Marc Ewing gründete Young die Firma Red Hat 1995 und funktionierte seinen Online-Versand von Antiquitäten in den Versand von Linux-Disketten plus zusammengefrickelter Dokumentation für jeweils 50 Dollar um. Der Startup-Investor Frank Betten steuerte wenig später 2 Millionen Dollar bei. Der Durchbruch gelang im Januar 1998, als das renommierte Fermilab Red Hat Linux für seine Rechner bestellte. Prompt war schon damals IBM etwas mit im Boot mit einer Million Dollar, gezahlt für die Empfehlung, auf IBM-Hardware zu setzen.

Bei Microsoft hatte unterdessen Valloppillil das erste Halloween-Dokument unter dem Titel Open Source Software: A (New?) Development Methodology in Arbeit, welches ab Frühling 1998 im Hause Microsoft zirkulierte. Die wichtigsten Erkenntnisse: Das als Open Source entwickelte Linux ist kommerziellen Unix-Versionen überlegen und kann schneller verbessert werden als diese. Und: solange Protokolle öffentliche Standards sind, kann die Open-Source-Entwicklung schlechterdings nicht verhindert werden.

Das zweite Halloween-Dokument stammt ebenfalls von demselben Microsoft-Manager und versucht sich an einem Vergleich zwischen Linux, Unix und Windows NT. Bemerkenswerter ist das dritte Halloween-Dokument, in dem eine europäische Microsoft-Pressesprecherin die bis dahin abgestrittene Existenz der beiden anderen Papiere bestätigte: Mit ihrem "unter drei" geschickten Text wurde damit öffentlich, dass Microsoft ein echtes Problem mit Linux hat.

Es wäre müßig und eher gruselig, an dieser Stelle alle elf Halloween-Dokumente zu referieren, womit die Zahl von "Zahlen, bitte" erklärt ist. Zwei Dinge sind dennoch anzumerken: Als Eric Raymond von Microsoft juristische Auseinandersetzungen wegen der Veröffentlichung von Interna angedroht wurden, bekam er finanziellen Support von Red Hat. Danach sind alle Beteiligten Teil einer anderen, unendlichen Geschichte geworden, als die Firma SCO beziehungsweise SCO Group sowohl IBM als auch Red Hat (und viele andere) wegen Sourcecode-Klaus verklagte und dabei zeitweilig von Microsoft unterstützt wurde.

Neben den Kommentaren zur nun vorgesehenen Mega-Fusion von IBM und Red Hat ergibt sich passend zu Halloween manch spannende Frage: Taucht diese Untote namens SCO wieder auf? Wie sieht ein digitaler Holzpflock aus? Lacht da jemand höhnisch? Noch ist der gewordene Deal nicht endgültig in trockenen Tüchern, müssen die Aktionäre von Red Hat und die Kartell-Aufsichtsbehörden noch zustimmen. (anw)