KI-Strategie: Zwischen Aufbruchssignal und Etikettenschwindel

Wirtschaftsverbände und Abgeordnete sehen viel Licht und Schatten in der neuen Strategie der Bundesregierung für Künstliche Intelligenz.

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KI-Strategie: Zwischen Aufbruchssignal und Etikettenschwindel

(Bild: whiteMocca/Shutterstock.com)

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Das Bundeskabinett hat am Donnerstag in Potsdam bei einer "Digitalklausur" seine seit Langem erwartete Strategie für Künstliche Intelligenz (KI) verabschiedet, mit der bis 2025 drei Milliarden Euro in die Schlüsseltechnologie fließen sollen. Die Summe stelle eine "gute Hausnummer" dar, erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Dabei handle es sich rein um die staatlichen Mittel auf Bundesebene, die viele weitere private Investitionen auslösen dürften.

Sorgen, dass sich die vorgesehenen 100 neuen Stellen für KI-Professoren angesichts des harten Kampfs um die klügsten Köpfe gar nicht besetzen lassen, macht sich die CDU-Politikerin nicht. Das hiesige Hochschulsystem sei ausreichend attraktiv. Bei der Weiterbildung im KI-Bereich müsse aber – bis hin zu den Ministern – mehr getan werden. Für den Datenschutz gebe es in der EU "klare Rechte der Bürger", zeigte sich Merkel skeptisch über weitere Möglichkeiten, Big Data für KI-Algorithmen freizuschaufeln. Die Regierung wolle hier aber verbliebene nationale Stellschrauben ausloten etwa im Kampf gegen Krebs.

Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) unterstrich, das Kabinett sei bereit, finanziell auf dem Sektor den "ehrgeizigsten Beitrag in Europa" zu leisten. Eine leistungsfähige digitale Infrastruktur generell sei "so wichtig wie die Versorgung mit Strom und Wasser", sagte der Finanzminister. Zugleich mahnte er, dass Sozialstandards nicht wegen einer Technik aufgegeben werden dürften.

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"Der Schritt unterstreicht, dass die Politik die Bedeutung dieser Zukunftstechnologie erkannt hat", freute sich Achim Berg, Präsident des Digitalverbands Bitkom, über den Beschluss. "Wir begrüßen das klare Bekenntnis der Bundesregierung, jetzt das Tempo erhöhen zu wollen." Dieses Ziel müsse aber noch stärker mit konkreten Maßnahmen und den notwendigen Mitteln verfolgt werden. Die geplanten Milliarden aus dem Bundeshaushalt entsprächen 500 Millionen Euro pro Jahr und damit bei Weitem nicht der "erkannten und formulierten Bedeutung von KI für Wachstum und Wohlstand".

Berg vermisst zudem noch einen "regulatorischen Rahmen", der neben der KI-Forschung auch Anwendungen der Technik ermögliche. Sonst drohten die Investitionen wirkungslos zu verpuffen. Die KI-Strategie könne generell ein Aufbruchssignal sein, die eigentliche Arbeit, "die vielfältigen Chancen der Technologie für alle Lebensbereiche in den Mittelpunkt zu rücken", beginne aber erst.

Weniger kann Alexander Rabe, Geschäftsführer des eco-Verbands der Internetwirtschaft, der Initiative abgewinnen. Sie werfe zwar "durchaus richtige Schlaglichter auf aktuelle Herausforderungen". Letztlich fehlten – genauso wie bei der parallel beschlossenen neuen digitalen Umsetzungsstrategie – "aber die Vision dahinter und der rote Faden einer gestaltenden Digitalpolitik mit einem klaren Zielbild". Die Netzpolitik bleibe eine Großbaustelle: "Wir sehen Stückwerk, statt strategischem Gestaltungswillen." Dies zeige sich etwa auch daran, dass die für die Verarbeitung großer Datenmengen erforderlichen "leistungsstarken und sicheren Rechenzentren" gar nicht erwähnt würden.

Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) forderte "im Wettbewerb um die Vorreiterrolle in der Digitalisierung mehr Ehrgeiz und Tempo". Länder wie die USA, Kanada oder China seien im Bereich KI schon weiter. Mit seiner Strategie setze das Kabinett nun nicht mehr als "erste Wegmarken, um den Rückstand aufzuholen". Sinnvoll sei der geplante runde Tisch mit Wirtschaftsverbänden und Datenschutzaufsichtsbehörden, "um Rechtssicherheit bei der Verwendung von personenbezogenen Daten im Rahmen von KI zu schaffen".

"Drei Milliarden sind nicht schlecht – wenn es diesmal auch gelingt, diese zügig in konkrete Maßnahmen zu investieren", meint dagegen Stephan Noller, Vizepräsident des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW). Besonders erfreulich sei der Ansatz, "die Verfügbarkeit und den Austausch von Daten zu fördern", da diese für KI-Anwendungen genauso wichtig seien wie Geld. Noller lobt auch, dass es die Regierung wage, "heiße Eisen anzufassen wie etwa den Einsatz von KI in der Personalauswahl oder der personalisierten Medizin". Es gelte, die Technologie "mutig zu umarmen" und nicht nur "als Optimierungs-Tool für bestehende Geschäftsmodelle zu nutzen".

Im Bundestag stieß das Vorhaben ebenfalls auf geteilte Meinungen. Nadine Schön, Vizechefin der CDU/CSU-Fraktion, machte in dem Papier einen "starken Impuls" aus, mit dem die Regierung "wichtige Leitplanken" vorgebe. Gerade der Mittelstand müsse aufholen beim Einsatz von KI, die Republik insgesamt schnell vorankommen angesichts der Aktivitäten der USA und Chinas.

Die SPD-Netzpolitikerin Saskia Esken begrüßte ausdrücklich den strategischen Schwerpunkt auf "Verfügbarkeit, Qualität und Schutz von Daten", da diese Faktoren zusammengedacht werden müssten. Es sei das "Alleinstellungsmerkmal für eine europäische KI, dass wir Datennutzung und Datenschutz versöhnen". Vieles bleibe aber auch auf den 80 Seiten im Ungefähren und müsse jetzt mit Leben gefüllt werden. Die einschlägige parlamentarische Enquete-Kommission werde ihren Beitrag dazu leisten.

"Eine ganzheitliche Strategie sieht anders aus", beklagen Digitalpolitikerinnen der Linken. Sie vermissen vor allem "konkrete Ansätze für Potenziale aus KI-Anwendungen für Gemeinwohl und soziale Innovation". In manchen Fragen bleibe die Strategie sogar noch hinter den eigenen Eckpunkten des Kabinetts zurück. Aspekte wie Überwachung im Betrieb oder Mensch-Maschine-Interaktionen würden nur vage thematisiert.

Der FDP-Digitalexperte Manuel Höferlin bezeichnete das Papier als Sinnbild für die Halbherzigkeit der Regierung. Die Probleme würden zwar ausführlich analysiert, doch es hapere an den Lösungen. KI-Trainer für den Mittelstand und ein Observatorium reichten nicht aus, um die Erkenntnisse aus der Forschung in die Praxis zu transportieren. Die grüne Innovationspolitikerin Anna Christmann kritisierte einen "Etikettenschwindel", da nur ein "Sammelsurium an Buzzwords" herausgekommen sei und keine Prioritäten festgelegt würden. Schwer zu Gericht ging ihre für Netzpolitik zuständige Kollegin mit der Digitalstrategie des Kabinetts, da hinter der darin enthaltenen "Ankündigungsrhetorik" kein Konzept stehe. Insbesondere das Zusammenspiel von Ökologie und Digitalisierung bleibe "dramatisch unterbelichtet". (mho)