Gesünder sterben

Die Forschung an Medikamenten gegen das Altern macht wieder Fortschritte und weckt Hoffnungen. Ein deutlich längeres Leben oder gar der Sieg über den Tod sind aber noch nicht in Sicht.

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Gesünder sterben
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Stephen S. Hall

Das Forschungsgebiet von Judith Campisi ist die Bedeutung von zellulärer Seneszenz für Krebs und andere Alterskrankheiten. Im Interview mit Technology Review spricht sie über die aktuellen Erfolge auf ihrem Gebiet. Seneszente Zellen befinden sich in einer Art Zwischenzustand, in dem sie noch aktiv sind, sich aber nicht mehr teilen. Wie Campisi und andere Wissenschaftler gezeigt haben, lässt sich dieser Umstand nutzen, um beginnende Krebserkrankungen zu bekämpfen, die mit unkontrollierter Zellteilung und unkontrolliertem Zellwachstum zusammenhängen. Doch wenn wir älter werden, sammeln sich die seneszenten Zellen an und sondern eine Reihe von Molekülen ab, die zu der Gewebe-Degradation beitragen, die in Zusammengang mit Alterung steht.

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Dieses Wissen hat dazu geführt, dass seit fünf Jahren an einer neuen Klasse von Medikamenten geforscht wird, die als Senolytika bezeichnet werden; sie sollen seneszente Zellen eliminieren und konnten in Tierversuchen bereits Merkmale jüngeren Alters wiederherstellen. Im Jahr 2011 zählte Campisi, Professorin am Buck Institute for Research on Aging in Kalifornien, zu den Gründern von Unity Biotechnology. Das Unternehmen hat im vergangenen Juli eine Studie an Menschen mit seinem ersten senolytischen Wirkstoff begonnen.

Technology Review: Warum sollten wir jetzt plötzlich wieder gespannt auf Medikamente gegen das Altern sein?

Judith Campisi: Inzwischen stehen Biomedizinern Werkzeuge zur Verfügung, die es schlicht noch nicht gab, als ich Studentin oder sogar Doktorandin war. Also sind wir jetzt endlich in der Lage, Experimente vorzunehmen, die vor 20 oder 25 Jahren entweder als unmöglich oder als bloße Träumerei galten. Außerdem hat das Fachgebiet der Seneszenz endlich Anerkennung gefunden – ebenso wie die Erkenntnis, dass seneszente Zellen die Alterung antreiben können. Ob darauf beruhende Medikamente bei Menschen wirken werden, ist immer noch offen. Aber die ersten Studien mit Menschen laufen bereits.

Wie genau trägt Seneszenz zur Alterung bei?

Man muss sich das Phänomen der Seneszenz vorstellen wie einen evolutionären Balance-Akt. Es ist entstanden mit dem sinnvollen Zweck, Krebs zu verhindern – wenn sich Zellen nicht teilen, können sie keinen Tumor bilden. Außerdem optimiert es die Gewebe-Reparatur. Der Nachteil aber ist, dass seneszente Zellen schädlich werden, wenn sie bestehen bleiben, wie es bei der Alterung der Fall ist. Der Evolution ist egal, was mit Ihnen passiert, nachdem Sie Kinder bekommen haben. Also gibt es ungefähr ab dem Alter von 50 Jahren keine Mechanismen, die effektiv diese Zellen aussortieren. Sie neigen dazu, sich anzusammeln. Ein Gedanke ist dabei attraktiv geworden: Sie zu eliminieren und zu prüfen, ob sich Gewebe in jugendlichere Zustände zurückversetzen lässt.

Sie haben gesagt, dass das Gesundheitswesen durch senolytische Medikamente transformiert werden könnte. Das ist eine ziemlich mutige Behauptung.

Wenn wir Alterung als Antreiber für verschiedene altersbedingte Krankheitszustände verstehen, könnte eine neue Generation von Ärzten – heute nennen wir sie Geriater – einen sehr viel ganzheitlicheren Ansatz wählen, und auch Interventionen könnten ganzheitlicher erfolgen. Das würde die Art und Weise revolutionieren, wie wir heute über die Medizin denken. Nur zur Erinnerung: 80 Prozent der Patienten, die heute in Krankenhäusern akute medizinische Betreuung brauchen, sind über 65 Jahre alt. Man könnte sich also vorstellen, dass Senolytica eine der Waffen im Arsenal von Geriatern werden, um Alterung ganzheitlich zu bekämpfen statt Krankheit für Krankheit.

Es wird darüber diskutiert, ob es eine biologische Grenze für die maximal mögliche Lebensdauer von Menschen bei etwa 115 Jahren gibt oder ob sie sich auf 130 oder sogar 150 Jahre verlängern lässt. Wie denken Sie darüber?

Derzeit wissen wir schlicht nicht genug, um sagen zu können, ob es möglich sein wird, die maximale Lebensdauer von Menschen zu verlängern. Die durchschnittliche Lebensdauer? Kein Problem – das ist bereits gelungen. Aber bei der maximalen wissen wir es einfach noch nicht.

Sie haben schon häufig betont, dass Alterung ein komplexer Prozess ist und dass sie sich nicht rasch oder einfach wird verändern lassen. Aber trotzdem sehnen sich alle nach einer Lösung.

Man sollte Alterung nicht mit dem Tod verwechseln. Ich bin zuversichtlich, dass es medizinische Interventionen geben wird, mit denen sich die – wie es heute heißt – „Gesundheitsdauer“ verlängern lässt. Ich bin zuversichtlich, dass wir kurz davor stehen, genug über Alterung zu verstehen, um in der Lage zu sein, zu intervenieren. Und dass Menschen wie wir, die noch nicht zu alt sind, profitieren werden.

Aber trotzdem werden wir irgendwann sterben. Ich möchte an die Tests mit Mäusen erinnern, bei denen wir seneszente Zellen eliminiert haben. Es gab hier eine deutliche Zunahme beim Median der Lebensdauer, aber nicht beim Maximum. Auf gewisse Weise sind diese Mäuse gesünder gestorben. Ich denke, das ist das Ziel, und ich denke, darauf hoffen auch die Wagniskapitalgeber. Denn diese Art von Interventionen werden breit anwendbar und sehr wünschenswert sein. Einen Konflikt gibt es nur mit den Leuten, die glauben, dass wir 200 oder 300 Jahre oder noch älter werden. Das ist derzeit nicht realistisch.

Sagen wir, es gelingt, die Alterung zu verlangsamen oder umzukehren oder die Lebensdauer zu verlängern. Hätte das gesellschaftliche oder kulturelle Folgen, die Ihnen Sorgen machen?

Nein. In meiner Lebenszeit hat sich die Weltbevölkerung nicht ganz verdoppelt, aber bald wird es soweit sein. Das ist nicht nachhaltig. Die Wahrheit lautet: Wenn Menschen nicht mehr sterben, führt das nicht zu deutlich mehr Bevölkerungswachstum als durch das Tempo, in dem schon heute immer neue Menschen auf die Welt kommen und mit dem wir die Erde ohnehin schon ruinieren. Also halte ich solche Befürchtungen für lächerlich.

(sma)