Fallout 76: Bethesda fährt eine Erfolgsserie vor die Wand

Viele Spieler und Spielejournalisten sind sich einig: das Multiplayer-Fallout ist ein Desaster.

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Fallout 76

Fallout 76: Rage Quit wegen Server-Fehlern

(Bild: heise online / Fabian A. Scherschel)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Fabian A. Scherschel
Inhaltsverzeichnis

Seit dem ersten Fallout sind die post-apokalyptischen Rollenspiele der Serie im Großen und Ganzen vom Publikum bejubelt worden – unabhängig davon, ob Interplay oder, ab Fallout 3, Bethesda hinter der Entwicklung steckte. Mit dem neuesten Abkömmling der Serie allerdings ist die Spieleschmiede aus dem gleichnamigen Ort in US-Bundesstaat Maryland aber offenbar vom Weg abgekommen. Das Immer-Online-Multiplayer-Spiel Fallout 76 wird seit seiner Veröffentlichung vor gut einer Woche von Spielern genau wie von professionellen Spielekritikern geradezu zerrissen. Der Review-Aggregator Metacritic listet es momentan bei 55 von 100 möglichen Punkten; bei Spieler-Reviews steht es gar bei 2,9 von 10 – bisher ein undenkbares Schicksal für die von Spielern heiß geliebte Fallout-Serie.

Schon beim Anspielen der Beta des Online-Rollenspiels zeichnete sich auch für heise online ab, dass das Konzept vom Multiplayer-Fallout auf diese Art nicht aufgeht. Die Wertungen der Kollegen bei einschlägigen Spiele-Publikationen entsprechen dem hauptsächlich. Während sich manche Kollegen noch mit Wertungen zurückhalten – vielleicht in der Hoffnung auf dringend benötigte Patches vom Hersteller – fällen andere bereits vernichtende Urteile. Fallout 76 fährt die Schulnote "Ausreichend" und Wertungen von knapp 60, bestenfalls 70 Punkten ein. Für ein Vollpreis-Multiplattform-Spiel mit großem Namen eines renommierten Entwicklers eine äußerste Seltenheit.

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Nach knapp einem Dutzend Stunden im post-apokalyptischen West Virginia ist man geneigt, diese Frage klar mit "ja" zu beantworten. Zwar bietet Fallout 76 eine riesige Spiele-Welt, die auch (wie bei Fallout-Titeln üblich) bis ins kleinste Detail ausgearbeitet und überraschend abwechslungsreich ist, das war es aber dann auch schon. Grafisch und spielerisch gesehen ist Fallout 76 erst einmal fast identisch mit dem mittlerweile in die Jahre gekommenen Fallout 4. Und alle Änderungen, die Bethesda vorgenommen hat, waren offensichtlich nicht zum Besseren. Die mutige Entscheidung, keine menschlichen NPCs (Non Player Character) einzubauen, so dass alle lebenden Menschen, denen man begegnet, echte Mitspieler sind, geht nicht auf und führt zu Frust und Langeweile. Vor allem wenn man als alter Fallout-Veteran versucht, die Story alleine durchzuspielen.

Dass die Mikrofone aller Spieler dauerhaft eingeschaltet sind, bis man sie manuell abschaltet, führt nicht zu mehr Kommunikation, sondern dazu, dass niemand mehr mit anderen Spielern redet. Wer will schon den Beziehungsstreit eines Paares auf der anderen Seite der Welt live mithören, wenn man noch dabei ist, die Frisur der eigenen Spielfigur auszusuchen? Das kann ja nur dazu führen, dass die erste Amtshandlung in diesem Spiel darin besteht, die Voice-Kommunikation abzuknipsen. Da die Entwickler aber keine andere Art des Austausches mit den Mitspielern erlaubt, ist die Welt von Fallout 76 außer mit den üblichen Monstern nur mit langweilen Robotern und stummen Vault-Insassen bevölkert, die einem in den Kopf schießen, wenn man zu lange an einem Computer-Terminal sitzt und Story-Texte liest. Dass man so keine packende Story erzählen kann, ist eigentlich klar. Und Story, mitreißende Welt und Erkundung waren genau das, mit dem sich Fallout-Spiele bisher aus dem Einheitsbrei der Vollpreis-Top-Spiele hervorgehoben hat.

Fallout 76: Fallout zum Abgewöhnen (20 Bilder)

War. War never changes. Oder vielleicht doch?
(Bild: heise online / Fabian A. Scherschel)

Besonders bitter kommt es für Bethesda, weil Fallout 76 auf Grund seines Release-Termins Kopf-an-Kopf gegen Open-World-Giganten wie Assassin's Creed Odyssey und Red Dead Redemption 2 antreten muss. Beide Spiele setzen, jeweils auf ihre eigene Art, neue Maßstäbe im Open-World-Genre. Fallout 76 zielte mit seinen radikalen Änderungen am Fallout-Prinzip wohl auf ähnliche Erfolge ab, versagt im Direktvergleich aber kläglich. Auch technisch kann das Bethesda-RPG nicht mithalten. Die Engine liefert trotz aufpolierten Depth-of-Field-Effekten ein Gesamtbild ab, das arg in die Jahre gekommen ist. Rockstars RAGE-Engine, EAs Frostbite und AnvilNext bei Ubisoft liefern durch die Bank bessere Ergebnisse. Hinzu kommen ziemlich viele Bugs. Dass Videospiele ab Launch Bugs haben ist üblich, wenn man seine Spielfigur allerdings zwei Minuten lang nicht bewegen kann, weil der Server überlastet ist, stellt dies eine ganz neue Dimension des Versagens dar. Dass die Spieler bei solchen Erfahrungen wütend reagieren, ist verständlich.

Fallout-Fans sind in dieser Hinsicht viel Leid gewöhnt und würden wahrscheinlich viele der Probleme verschmerzen, wenn die Story des Spiels stimmen würde, oder die vielen Änderungen wenigstens auf ein neues, aufregendes Spielerlebnis hinauslaufen würden. Das Fazit vieler Spieler auf Metacritic (Steam-Reviews gibt es keine, da das Spiel nicht auf Steam verfügbar ist) und vieler Spielejournalisten ist allerdings, dass die Änderungen am Spielprinzip auf viel Beschäftigungstherapie statt interessanter Quests herauslaufen. Da Multiplayer-Erfahrungen wie der Kampf Spieler-gegen-Spieler (PvP) oder Survival-Elemente allerdings zu harmlos oder schlicht langweilig gestaltet sind, ersetzen diese für sehr viele Spieler nicht den Verlust der Fallout-typischen Dialoge, NPC-Freunde und Puzzle-Questlines. Was nützt eine riesige Welt wenn diese nur mit Toten oder stummen Vandalen bevölkert ist?

Man fragt sich, ob die Entwickler das verunglückte Konzept mit Patches im Nachhinein noch retten können. Fallout 76 erhielt vor seinem eigentlichen Erscheinen bereits ein massives Update, welches auf den Konsolen sogar größer war als die ursprünglichen Installation-Dateien. Alles deutet allerdings darauf hin, dass der Drops gelutscht ist. Die Entwickler werden sich wohl damit abfinden müssen, den absoluten Tiefpunkt in einem Franchise produziert zu haben, in dem bisher jede Veröffentlichung ein glatter Erfolg war. Die Meinung der meisten Spieler scheint jedenfalls klar zu sein: Baut eine neue Engine und gebt uns ein frisches, spannendes Single-Player-Abenteuer (vielleicht mit Co-Op-Modus) à la New Vegas 2 anstatt Always-Online-Multiplayer ohne NPCs und mit langweiligem PvP. (fab)