Interaktive Videos: Ihr seid dran

Netflix bietet Kinderfilme an, bei denen die Zuschauer selbst entscheiden können, wie es weitergeht. Interessanter als der Inhalt ist aber, seine Kinder dabei zu beobachten, wie sie sich einigen.

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Interaktive Videos: Ihr seid dran

(Bild: Netflix)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Robert Thielicke

"Ich kann wirklich selbst wählen, wie die Geschichte weitergeht?", fragt meine Tochter.

"So lautet zumindest die Ankündigung", sage ich.

"Cool", sagt meine zehnjährige Tochter.

"Kuel", sagt mein vierjähriger Sohn.

Also los.

Seit Mitte 2017 bietet der Video-Streaming-Dienst Netflix zwei Kinderfilme an, bei denen die Zuschauer entscheiden können, was als Nächstes passieren soll: "Der gestiefelte Kater und das magische Buch" sowie "Buddy Thunderstruck", ein Trucker-Roadmovie für Unter-Zehnjährige.

Anschauen können sie Nutzer über die Netflix-App für iOS oder Smart TVs, Android-Geräte sind ausgenommen. Die Animation ist allerdings gut gemacht, weil Netflix sich für die Produktion bei zwei Serien bedienen konnte, die es ohnehin anbietet.

Ich setze mich also mit Kindern samt iPad auf das Sofa. Wir beginnen mit dem gestiefelten Kater, und was folgt, ist nicht nur ein lustiger Zeichentrickfilm, sondern auch eine Lehrstunde in Konfliktmanagement. Schließlich müssen sich ein Vierjähriger und eine Zehnjährige auf etwas einigen, das keine Kompromisse zulässt. Ich lehne mich zurück und warte, was passiert.

Die Geschichte beginnt damit, dass der Kater in einem magischen Buch verschwindet und nun einem Erzähler gehorchen muss, der sich Abenteuer für ihn ausgedacht hat. Der Zuschauer kann von Kapitel zu Kapitel entscheiden, wie es mit ihm weitergehen soll. Immer zwei Möglichkeiten stehen zur Auswahl.

Die erste: Soll der Kater gegen einen Baum kämpfen – oder gegen einen Gott?

"Gegen einen Baum", sagt mein Sohn. In seinem Alter ist das augenscheinlich ein durchaus realistischer Gegner.

"Gegen einen Gott", sagt meine Tochter.

"Neee, Baum", insistiert mein Sohn.

Zwölf Sekunden haben die beiden Zeit, sich zu einigen.

"Baum ist doch echt blöd", sagt meine Tochter.

"Papa, die hat blöd gesagt."

Dann ist die Zeit abgelaufen, die Entscheidung fällt der Computer – und er fällt sie zur Zufriedenheit meines Sohnes.

Meine Tochter muss sich bei der nächsten Wahlmöglichkeit etwas überlegen.

Sie lautet: Spricht der Kater mit einem Riesen, oder wird er zu Goldlöckchen?

Sohn: Riese.

Tochter: Goldlöckchen.

Meine Tochter probiert einen Trick. Weil sie das iPad hält, kann sie es so bewegen, dass ihre Wahl unter dem Finger meines Sohns liegt. Er tippt tatsächlich darauf. Ich warte auf seine Beschwerde, aber sie bleibt aus. Auch so kann augenscheinlich ein Kompromiss aussehen: Der eine macht den Vorschlag, der andere führt ihn aus. Auf diese Weise geht es ohne weiteren Streit durch die nächsten Kapitel.

Irgendwann jedoch erwacht der Drang meines Sohnes von neuem, selbst wieder Einfluss auf die Geschichte zu nehmen.

Die Wahl lautet: Böse Königin oder Dornröschen-Kuss?

"Dornröschen-Kuss", sagt er.

"Böse Königin", sagt meine Tochter. Und dann gelingt ihr ein cleverer Schachzug:

"Aber weißt du was: Beim nächsten Mal machen wir den Kuss, okay? Wir können das ja einfach noch einmal anschauen und dann so wählen, wie du willst."

Mit der Aussicht auf eine weitere halbe Stunde Video ist mein Sohn zu relativ viel bereit. Meine Tochter bekommt ihre böse Königin. Und beide probieren anschließend friedlich alle Varianten aus, die der interaktive Kinderfilm zu bieten hat.

Einige geben der Geschichte tatsächlich eine neue Wendung. Oft aber enden die Episoden recht ähn-lich oder sogar genau gleich. Man merkt, dass die Macher den Aufwand in Grenzen halten und den Film nicht mit immer neuen Möglichkeiten ins Uferlose ausdehnen wollten. So nutzt sich die anfangs unterhaltsame Idee rasch ab. Am Ende schauen meine Kinder den interaktiven gestiefelten Kater wie jeden normalen Kinderfilm.

Noch deutlicher wird dieses Manko bei "Buddy Thunderstruck", dem zweiten Testballon. Die zwei Hauptfiguren fahren mit ihrem Truck durch die Gegend und überlegen sich, was sie als Nächstes tun könnten. Sie kramen in einem Stapel voller Ideen und ziehen immer zwei Varianten heraus. Die Idee ist schlicht, die Umsetzung leider auch: Egal für welche Möglichkeit sich der Zuschauer entscheidet, am Ende ist das Ergebnis immer das Gleiche. Meine beiden Kin- der jedenfalls verloren rasch das Interesse.

Für kommendes Jahr hat Netflix weitere interaktive Angebote angekündigt. Ob es allerdings wirklich dazu kommt, bezweifle ich: Für variantenreiche Geschichten ist der Produktionsaufwand enorm hoch, höher wahrscheinlich als die Freude des Zuschauers am Mitmachen. Wer wirklich Wert auf Interaktion legt, dürfte eher zu einem Computerspiel greifen.

Produkte: Der gestiefelte Kater und das magische Buch / Buddy Thunderstruck (interaktiv)
Hersteller: Netflix
Preis: Netflix-Abo (ab 7,99 Euro pro Monat)

(rot)