Sind die CRISPR-Babys da?

In China sollen erstmals Kinder auf die Welt gekommen sein, deren DNA mit der Genschere CRISPR maßgeschneidert worden waren. Der Bericht des Forscherteams heizt ethische Debatten um embryonale Genmodifizierung an.

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Die CRISPR-Babys sind da

(Bild: OHSU)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Antonio Regalado
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Ein Team der Southern University of Science and Technology im chinesischen Shenzhen hat Paare für eine Anwendung von CRISPR am Embryo ausgesucht, bevor dieser in die Gebärmutter eingesetzt wird. Laut den klinischen Unterlagen wurde bei den Embryonen die Erbgutanlage CCR5 zerstört. Das soll dazu führen, dass die Kinder keine Infektion durch HIV erleiden können.

Eines der Paare der Studie wurde vor wenigen Wochen Eltern der Zwillingsmädchen Nana und Lulu. Die Geburt der ersten genetisch maßgeschneiderten Menschen wäre eine erstaunliche und umstrittene Leistung. Wo die einen eine neue Form der Medizin sehen, die genetische Krankheiten eliminiert, sehen andere das Tor zu Designer-Babys und einer neuen Form der Eugenik weit aufgestoßen.

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„Im härter werdenden globalen Wettstreit um die Genmodifizierung hoffen wir, herausragend zu sein“, schrieben Studienleiter He Jiankui und sein Team in einer Ethikerklärung, die sie letztes Jahr vorgelegt haben. Sie prognostizierten, dass ihr Durchbruch die Erfindung der In-vitro-Fertilisation „übertreffen“ würde. Deren Entwickler war 2010 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden.

Für die Studie rekrutierten Ärzte und AIDS-Gruppen chinesische Paare, bei denen der Mann HIV-positiv war. Die Infektion ist in China ein wachsendes Problem. Menschen ohne funktionierende Kopien des Gens CCR5 gelten als immun oder hochresistent gegen eine Infektion mit HIV. Um das gleiche Ergebnis in Embryonen nachzuahmen, hat Hes Team in ansonsten normalen Embryonen das CCR5-Gen mit CRISPR geschädigt.

Der Versuch, Kinder vor HIV zu schützen, fällt in eine ethische Grauzone zwischen Behandlung und Verbesserung. Das Verfahren heilt keine Krankheit oder Störung im Embryo, sondern will einen Gesundheitsvorteil schaffen, so wie ein Impfstoff vor Windpocken schützt.

Gen-Editiermethoden - eine kleiner Einblick (6 Bilder)

Das System aus CRISPR (Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats) und der Cas9-Nuklease haben die Molekularbiologinnen Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier 2012 entdeckt. Dank seiner einfachen Handhabe und geringer Kosten erlebt die Gentherapie derzeit ein Revival.
(Bild: Text: Inge Wünnenberg; Grafik: Brian Sipple)

He schien die Bedenken zu antizipieren, die seine Studie hervorrufen könnte. "Ich unterstütze die Genmodifizierung zur Behandlung und Prävention von Krankheiten", schrieb er im November auf der Social-Media-Website WeChat, "aber nicht zur Aufwertung oder Verbesserung des IQs, die für die Gesellschaft nicht vorteilhaft ist".

Dennoch ist die Entfernung des CCR5-Gens zur Erzeugung einer HIV-Resistenz medizinisch kein besonders triftiger Grund, das Erbgut eines Babys zu verändern. Es gibt einfachere und kostengünstigere Möglichkeiten, eine HIV-Infektion zu verhindern. Auch ist die Modifizierung von Embryonen kostspielig und hochtechnisch. In vielen armen Regionen der Welt, in denen HIV grassiert, würde sie wahrscheinlich unzugänglich bleiben.

In der chinesischen Gesellschaft ist der Gedanke stark, dass ein großer Vorteil für die Gemeinschaft schwerer wiegt als die Rechte des Individuums. Hinter dem chinesischen Ansatz zur Genmodifizierung stehen auch kühne Überlegungen darüber, wie die Evolution durch die Wissenschaft gelenkt werden kann. Während die natürliche Mutation, die CCR5 deaktiviert, in Teilen Nordeuropas relativ häufig ist, kommt sie in China nicht vor. Die Gentechnik kann genutzt werden, um die nützlichsten genetischen Errungenschaften, die von der Evolution weit in Raum und Zeit gestreut wurden, auszuwählen und sie in den Kindern von morgen zusammenzuführen. Dieses Denken könnte Menschen hervorbringen, die nur mit den Besten aller Gene ausgestattet sind und nie an Alzheimer, Herzerkrankungen oder bestimmten Infektionen leiden.

Der Genetiker Fjodor Urnov, stellvertretender Direktor des Altius Institute for Biomedical Sciences, einem gemeinnützigen Verein in Seattle, überprüfte die chinesischen Dokumente. Obwohl sie unvollständig seien, zeigen sie, dass "diese Bemühungen darauf abzielen, einen Menschen zu produzieren", der veränderte Gene aufweist.

Urnov äußerte "Bedauern und Besorgnis darüber, dass die Genmodifizierung - eine leistungsstarke und nützliche Technik - in einem Umfeld eingesetzt wurde, in dem sie unnötig war". Parallel laufen bereits Studien, um in den Körpern von Erwachsenen mit HIV das gleiche Gen zu bearbeiten. "Es ist ein schwer zu erklärender Ausflug in die Manipulation embryonaler Stammzellen. Das kann in der Öffentlichkeit ein Jahrzehnt des Fortschritts bei der Gentherapie von Erwachsenen und Kindern zur Behandlung bestehender Krankheiten überschatten", sagt er.

Derzeit ist die Verwendung eines gentechnisch veränderten Embryos für eine Schwangerschaft in weiten Teilen Europas und den USA illegal. Auch in China verbietet eine ministeriale Anordnung von 2003 Fruchtbarkeitskliniken diese Anwendung. Es ist nicht klar, ob He eine Sondergenehmigung erhalten hat.

Auch jenseits der Eugenik-Debatte birgt die genetische Modifizierung eines menschlichen Embryos erhebliche Risiken, etwa die Bildung unerwünschter Mutationen, die beim Einsatz von CRISPR möglich ist. Der Körper des Babys könnte aus modifizierten und unmodifizierten Zellen bestehen. Daten auf der chinesischen Studienseite deuten darauf hin, dass einer der Föten ein „Mosaik“ von Zellen ist, die auf unterschiedliche Weise bearbeitet wurden. Veränderungen an einem Embryo können in zukünftige Generationen weitergetragen werden und sich schließlich auf den gesamten Genpool auswirken.

Bei einer wissenschaftlichen Präsentation im Jahr 2017 im Cold Spring Harbor Laboratory beschrieb He Jiankui eine große Serie von Vorversuchen an Mäusen, Affen und mehr als 300 menschlichen Embryonen. He behauptete damals, dass er nur wenige oder keine unerwünschten Mutationen an den Testembryonen fand.

Laut der klinischen Studie waren genetische Messungen an Embryonen und eingesetzten Föten geplant, um fortlaufend die Gesundheit zu überprüfen. Während seiner Präsentation 2017 vermutete He, dass ein ungesundes erstes CRISPR-Baby zur eine Katastrophe für die Wissenschaft werden könnte. „Wir sollten dies langsam und vorsichtig tun, da ein einziger Misserfolg das gesamte Forschungsfeld töten könnte“, sagte er.

(anwe)