Zahlen, bitte! Die achte Bernoulli-Zahl, ein Programmierfehler und der Weg zur KI

An Ada Lovelace's 166. Todestag - eine Smith-Zahl von großer Schönheit - stellt sich die Frage, ob die "erste Programmiererin" auf die Füße gestellt werden muss

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Zahlen, bitte! Die achte Bernoulli-Zahl, ein Programmierfehler und der Weg zur KI
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Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Kurz vor ihrem Tod schrieb Ada Augusta Countess of Lovelace in einem Brief: "Aller Wahrscheinlichkeit nach wird meine Zeit – wenn ich je eine haben sollte – des Einflusses auf die Menschheit erst nach meinem Tode kommen." Genauso ist es passiert. Zu ihrem 200 Geburtstag gab es eine Vielzahl von Ausstellungen und Würdigungen, die den Ruhm von Ada als der ersten Programmiererin vergrößerten. Mittlerweile gibt es sogar ein Kinderbuch über Ada und den ersten Computer.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Die "Prinzessin des Parallelogramms", wie Lord Byron seine Tochter nannte, wäre ganz entzückt. Was es auch gab, war der Versuch des Informatikers Raúl Rojas Ada auf die Füße zu stellen. Nach all den Geburtstags-Nettigkeiten erschien der Text auf Telepolis und sorgte für gereizte Reaktionen aller Art. Wie sein Postskriptum mit einem Verweis auf eine Broschüre zeigt, hat die Erhöhung von Ada tatsächlich seltsame Formen angenommen. Aber steht sie deswegen auf dem Kopf und muss auf die Füße gestellt werden?

Weil der Mensch zwei Füße hat, ging Rojas zwei Wege, um Ada und ihre Leistung in das Gefüge der Ideenentwicklung einzuordnen. Zum einen wertete er die umfangreiche Ada-Monographie Ada: A Life and a Legacy aus, die die Historikerin Dorothy Stein vor über 30 Jahren veröffentlichte. Auf Deutsch erschien das Buch 1999 unter dem Titel "Ada, Braut der Wissenschaft" mit einem sehr emotionalen Klappentext: "Ada – das ist der Mythos der ersten Programmiererin, der vergessenen Mitarbeiterin des Computerpioniers Charles Babbage, aber Ada ist vor allem die Geschichte einer jungen Frau, die, vom Schatten des gesellschaftlich verfemten Vaters verfolgt, von einer erziehungswütigen Mutter traktiert, sich in die Reinheit der Mathematik flüchtet, um die 'Hohepriesterin von Babbages Maschine' zu werden."

Ada Lovelace 1836

(Bild: Gemälde von Margaret Sarah Carpenter (1793–1872), gemeinfrei )

Tatsächlich zeigt Dorothy Stein vor allem in der Analyse des umfangreichen Briefwechsels von Ada Lovelace, dass Ada mit ihrer Rolle als Hohepriesterin kokettierte. Bei Rojas wird das noch negativer zusammengefasst: "Ada Lovelace war eher eine Narzisstin, die immer geschickt wusste, die Aufmerksamkeit ihrer Umgebung auf ihre Person zu ziehen." Immerhin besaß sie die Hartnäckigkeit, ihren Ehemann in die Bibliothek zu schicken (der Zutritt war Frauen damals verboten) und dort den auf Französisch verfassten Aufsatz des späteren italienischen Ministerpräsidenten Luigi Menabrea über Babbages Analytical Engine abzuschreiben. Der machte ein paar Fehler und schrieb "le cos de n=8" statt "le cas de n=8", womit die mathematischen Kenntnisse von Ada Lovelace verspottet werden konnten.

Zum anderen befasste sich Raúl Rojas mit dem von Ada Lovelace eigens für Babbage als "Add-On" zur Übersetzung geschriebenes Programm für die Berechnung von Bernoulli-Zahlen, speziell für die achte Bernoulli-Zahl -1/30. Das Resultat ist ein Programm mit zwei Unterschleifen und einer Oberschleife – und dem ersten Programmierfehler, wie es der Computer-Historiker Sinclair Target bei der Übersetzung von Adas Anweisungen in ein C-Programm feststellte. Der Fehler fiel auch bei der Übersetzung des Programmes in Python durch Jim Randall auf.

Rojas' Urteil ist das härteste der drei Männer: Originalität nicht vorhanden, da es Babbage ist, der den Vorschlag mit den Bernoulli-Zahlen macht und obendrein die Formel schickt, Programmierung fehlerhaft. Schlimmer sind für ihn nur noch die generalisierenden Beschreibungen abseits des Programmier-Beispiels in der mittlerweile berühmten Notiz G: "Der Operationsmechanismus (der Analytical Engine) könnte auf andere Dinge als Zahlen angewandt werden, wenn man Objekte finden könnte, deren Wechselwirkungen durch die abstrakte Wissenschaft der Operationen dargestellt werden können und die sich für die Bearbeitung durch die Anweisungen und Mechanismen des Gerätes eignen." Eine solche Verallgemeinerung hält der deutsche Informatiker und KI-Spezialist für Geschwafel. Seine Schlussfolgerung ist eher Ada de nada: auf die Füße gestellt, kann aus dem Pantheon der Informatik entfernt werden. Als Mutter der Software sollte besser Grace Hopper die Ahnenreihe beginnen. "Im Fall von Software hat nichts, was Ada mit dem vergessenen Programm von 1843 erreicht hätte, später eine technische Auswirkung gehabt. Sie als 'Mutter der Software' zu bezeichnen ist reichlich übertrieben", wettert Rojas.

Spätestens hier müsste der Leser oder die Leserin stutzig werden und fragen, wie Countess Lovelace mit ihrem vergessenen, fehlerhaften Programm von 1843 überhaupt noch in Erinnerung bleiben konnte. Schuld war daran ein Mann, der gerne als Einstein der Informatik, manchmal gar als Vater der Informatik bezeichnet wird. Alan Turing schrieb 1950 einen bahnbrechenden Aufsatz über Computing Machinery and Intelligence und befasste sich dort unter Einwand Nr. 6 mit "Lady Lovelace's Objection".

In den Anmerkungen zum Text von Menabrea hatte Ada Lovelace nämlich geschrieben, dass die Analytic Engine niemals von sich aus etwas aufstellen kann. Jedweder Output ist durch die Regeln bestimmt, "die wir so anordnen, dass sie etwas ausführen können". Turing bezweifelte, dass von Menschen geschriebene Algorithmen alles determinieren oder umgedreht gesagt, dass Computer selbst nicht lernen können. Er sah die Analytical Engine als weltersten "universal digital computer". Damit sind wir mitten in der aktuellen Debatte um starke und schwache KI, um Deep Learning und die Verteilung von Milliarden an Fördergeldern sowie der Aufzucht und Pflege von 100 Professuren für Künstliche Intelligenz.

Die Realisierung der Analytical Engine scheiterte an Geldfragen. Bereits der vom britischen Staat bezahlte Bau von Babbages viel einfacherer Difference Engine hatte, auf heutige Preise umgerechnet, 52 Millionen Pfund gekostet. Was gesamtgesellschaftlich eigentlich günstig war: Mit dem Ungetüm wurden Logarithmen-Tafeln produziert, die 100 Jahre lang in Gebrauch waren. Die abgeleiteten nautischen Tafeln der Royal Navy galten als Goldstandard bei der Navigation von Schiffen.

Für die Analytical Engine und für den praktischen Beweis – inklusive Debugging! – von Ada Lovelaces kleinem Programm fehlten damit Geld und Einsicht, auch der Fertigungsgrad der Feinmechaniker war noch nicht genug entwickelt. Vielleicht spielte auch das Ansinnen von Ada Lovelace eine Rolle, CEO des Start-Ups der Firma Analytics Machines zu werden, eine Rolle. Wir wissen es nicht, denn Charles Babbage brach den Kontakt nach diesem unziemlichen Vorschlag sofort ab. Babbage hatte übrigens noch einen anderen Bewunderer namens Karl Marx, der Babbage zu einen "Pindar der automatischen Fabrik" adelte, umgeben von "ungeheuren Automaten, zusammen gesetzt aus zahllosen mechanischen und selbstbewussten Organen, die im Einverständnis und ohne Unterbrechung wirken, um einen und denselben Gegenstand zu produzieren, so dass alle diese Organe einer Bewegungskraft untergeordnet sind, die sich von selbst bewegt". (jk)