Post aus Japan: Die Vervielfachung des Ichs

Greenscreens für das Freistellen von Personen in Videos sind von gestern. Nippons Telekommunikationskonzern NTT macht dies in Echtzeit und vermehrt Personen digital. Ein anderes Unternehmen kopiert analoger.

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Post aus Japan: Die Vervielfachung des Ichs

(Bild: NTT)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Martin Kölling

Reatmo pfeift, Reatmo zischt, Trommeln, Pauken, Chöre erzeugt der japanische Stimmkünstler auf einer Bühne im Forschungszentrum des japanischen Telekomkonzerns NTT. Und innerhalb weniger Minuten erzeugt der junge Mann, der einen amerikanischen Beatboxer-Wettbewerb gewann, ein vollständiges Orchester aus digitalen Kopien seiner selbst, die NTTs System zweidimensional an die Wände des Raums oder als Hologramm auf der Bühne projiziert.

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

Der Reatmo dort gibt den Beat, der Reatmo da simuliert stimmlich eine Rassel, der Reatmo hier macht den Hintergrundchor und der echte Reatmo singt "Jingle Bells". Etwa 20 Video- und Tonspuren habe ich gesehen und gehört, die die Einmannkapelle an seinem Mischpult nach seinem Belieben ein- und ausblenden konnte. Es war ein Augen- und Ohrenschmaus, den ich bis dahin noch nicht erlebt habe.

Dahinter steht ein System, dass NTT Kirari nennt. Es ist dazu gedacht, Leinwände mit extrem hochauflösenden Bildern zu füllen, um beispielsweise Sport- und Kulturveranstaltungen live geradezu überlebensgroß und überrealistisch an ferne Orte zu übertragen. Und seine Leistungsfähigkeit ist enorm wie das Beispiel von Reatmo zeigt.

Die Software schneidet ihn in Echtzeit und beliebig lange aus dem aufgenommenen Bild aus, egal wie der Hintergrund aussieht. Bisher verwendete man dafür mit Vorliebe grüne oder blaue Hintergründe. Reatmo entschied sich für kurze Videokopien seiner selbst, die in einer Zeitschlaufe liefen. Und natürlich konnte die Software sie ebenfalls in Echtzeit mit Effekten versehen.

Diese Fähigkeit kam auch bei einem anderen Beispiel zum Tragen, der Aufzeichnung eines Fechtwettbewerbs. Fechten ist ein extrem schneller Sport, meist zu schnell für mein Auge. Doch mit superlangsamen Wiederholungen, die von einem ins Bild projizierten Fachmann erklärt und von visuellen Effekten verstärkt wurden, gewann selbst dieser Sport für mich etwas Reiz.

Richtig faszinierend wird das Ausschneiden bei den "holografischen" Projektionen. Bei denen wird das Videobild auf eine durchsichtige, in einem schrägen Winkel gespannte Leinwand projiziert. Doch der mit dem Bild projizierte Schatten lässt die Kopie des digitalen Ichs meist täuschend echt erscheinen. Mit 100.000 Dollar ist das System zwar für den Hausgebrauch zu teuer. Aber die Demonstration zeigt, wie die neue Technik mit aufgewerteter Realität schon bald unser Erleben verändern könnte.

Apropos "täuschend echt": Ein ehemaliger Ingenieur in der Printerentwicklung produziert seit Jahren unvergängliche Kopien von Gesichtern. Real f Co. heißt seine Firma, Osamu Kitagawa der Erfinder. Und er und seine Mitarbeiter fotografieren oder scannen Gesichter, die er dann in einem von ihm entwickelten Verfahren räumlich ausarbeiten. 3PDF (Three-Dimension Photo Form) tituliert er die Technik, bei der Hautfarbe, Poren, Leberflecken, Adern und Falten durch ein besonderes Verfahren auf die Plastikmaske fotokopiert werden. Zähne kosten extra.

Etwa 100 Masken pro Jahr liefert Kitagawa aus. Er könnte noch mehr produzieren, bis zu 30 Masken pro Monat. Aber bei Preisen von mindestens 2300 Euro ist diese Kopie des Ichs einen Nischenprodukt. Doch Kitagawa hat noch seine Träume. Er wolle am liebsten humanoiden Robotern vertraute Gesichter verleihen, verriet er jüngst. Man merkt, Herr Kitagawa lebt in Japan, einem Land, das von humanoiden Robotern besessen zu sein scheint.

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