Schweiz: Pionier unter den Kantonen schließt E-Voting-Plattform

Der schweizerische Kanton Genf zieht seinem eigenen E-Voting-System den Stecker. Ausschlaggebend waren finanzielle Gründe.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 22 Kommentare lesen
Schweiz: Pionier unter den Kantonen schließt E-Voting-Plattform

Genfer See

(Bild: Luisfpizarro)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Tom Sperlich
Inhaltsverzeichnis

Mit dem Kanton Genf stellt ausgerechnet der Pionier des schweizerischen "E-Votings" sein System der elektronischen Stimmabgabe ein. Bis Februar 2020 wird dem Projekt Vote électronique der Stecker gezogen, wie der Genfer Regierungsrat am Mittwoch beschlossen hat. Grund dafür seien die knappen finanziellen und personellen Ressourcen. Der Schritt ist eine große Überraschung für Gegner und Befürworter der seit längerem hart diskutierten elektronischen Abstimmungssysteme.

Seit der Einführung des Genfer Angebots "CHVote" im Jahr 2003 wurde die Plattform mehr als 150 Mal genutzt. Laut RTS gaben allein in Genf bei der Volksabstimmung im September 2017 fast 60 Prozent via elektronischem Kanal ihre Stimme ab. Aktuell hätte das System jedoch unter anderem an neue Anforderungen der Bundesverwaltung angepasst werden müssen, die im Sommer dieses Jahres vom Bundesrat den Auftrag erhalten hat, eine Vernehmlassungsvorlage auszuarbeiten, um E-Voting als dritten Stimmkanal zu etablieren.

Laut Medienberichten begründete die Kantonsregierung ihren Entschluss damit, dass Genf die Kosten für die weitere Softwareentwicklung und die mit dem Projekt verbundenen Risiken nicht mehr alleine habe tragen wollen. Die Erneuerung des Wahlplattform hätte dem Kanton Genf zusätzliche Kosten von 2,6 Millionen Franken (rund 2,3 Millionen Euro) eingebrockt. Das wäre zu dem bestehenden Budget von 4,6 Millionen Franken (rund 4,05 Millionen Euro) hinzugekommen. Diesen Betrag wollte der Kanton nicht aufbringen.

"Wir haben die Partnerkantone und den Bund vergeblich um eine Beteiligung gebeten", sagte der Genfer Regierungspräsident Antonio Hodgers vor Medien in Genf. Laut der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) fanden dies jedoch die fünf Partnerkantone keine gute Idee. In der Folge entschied der Genfer Regierungsrat, das E-Voting-System einzustellen. "Es ist der Mangel an Solidarität, der diesem Projekt ein Ende setzt", meinte Hodgers

Wenn auch nicht offiziell genannt, dürfte aber dennoch beim Ende ein Sicherheitsproblem eine Rolle gespielt haben, das der Chaos Computer Club Schweiz (CCC-CH) kürzlich publik gemacht hatte.

Das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) hatte berichtet, es sei einem Mitglied des CCC gelungen, die Genfer Wahlplattform indirekt zu manipulieren. Volker Birk vom CCC-CH hatte demonstriert, dass es beim Genfer E-Voting-System ganz einfach möglich war, Wähler auf eine gefälschte E-Voting-Website umzuleiten.

Der Kanton Genf hatte erwiderte, dass er von dem Problem wisse und es bereits Gegenmaßnahmen gäbe, außerdem habe er bisher keine Anomalien festgestellt. Die Sicherheitslücke habe inzwischen behoben werden können, hieß es bei RTS.

Später konterte die Genfer Kantonsregierung mit einer Abmahnung an den CCC-CH. Laut Rechtsanwalt Martin Steiger beschwerte sich die Staatskanzlerin in Genf, Michèle Righetti, darüber, dass der CCC auf der gefälschten Website die Wappen von verschiedenen Kantonen einschließlich Genf verwendet hatte. Dafür wurde auf Art. 28 Wappengesetz (WSG) verwiesen. Die Bestimmung stellt den "unzulässigen Gebrauch öffentlicher Zeichen" unter Strafe.

Weiter warf der Kanton Genf dem CCC "Vergehen gegen den Volkswillen" gemäß dem 14. Titel des Strafgesetzbuches (StGB) vor, allerdings ohne einen einzelnen Straftatbestand zu nennen. Die Staatskanzlerin behauptete, der CCC störe die betreffenden Volksabstimmungen und untergrabe das Vertrauen der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger in das Schlussergebnis.“

Wie es um das Vertrauen in E-Voting bestellt ist, bleibt derweil noch offen. Nach dem Willen der Regierung (Bundesrat) soll E-Voting bis 2019 von einer Mehrheit der Kantone angeboten werden. Die Kantone sind aber nicht zur Einführung verpflichtet. Sie können die Einführungauch ablehnen.

Das baldige Ende des Genfer Abstimmungssystems bringt nun aber Konsequenzen für die fünf weiteren Schweizer Kantone mit sich, die das Genfer System benutzen. St. Gallen, Luzern, Aargau, Bern und Waadt nutzen diese Lösung auch und brauchen jetzt eine Alternative. Das dürfte die Schweizerische Post sein, als verbleibender Anbieter von elektronischen Abstimmungssystemen in der Schweiz. Die Kantone Freiburg, Neuenburg und Basel-Stadt nutzen die Post-Lösung bereits in der Versuchsphase. Auch Genf wird sich wahrscheinlich für dieses entscheiden, heißt es bereits.

Trotzdem ist die Entscheidung aus Genf ein herber Rückschlag für die Schweizer E-Voting-Anstrengungen. Genf ist bereits der zweite Anbieter, der einen Ausstieg vollzog. 2015 gab das sogenannte "Consortiums Vote électronique", in dem neun Kantone zusammengeschlossen waren, auf, weil der Bundesrat das System an den eidgenössischen Wahlen nicht zuließ. "Erhebliche Kosten" für notwendige Sicherheitsupdates wären angestanden, die für die Kantone "nicht vertretbar" waren.

Mit dem Genfer E-Voting-System verschwindetauch der letzte staatliche Anbieter einer elektronischen Abstimmungsplattform. Die privatwirtschaftlich tätige Post setzt auf ein System der spanischen Firma Scytl. Selbst E-Voting-Befürworter sehen die elektronische Stimmabgabe jedoch als hoheitliche Aufgabe lieber in der Hand des Staates. Die Entscheidung aus Genf wird deshalb vermutlich auch Stimmen bestärken, die ein E-Voting-Moratorium per Volksinitiative durchsetzen wollen.

E-Voting ist vor allem bei Auslandschweizern beliebt, denn die elektronische Stimmabgabe sei für viele von ihnen die einzige Möglichkeit, an eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen teilzunehmen, erklärte die Auslandschweizer-Organisation (ASO), die die Einstellung des Genfer E-Voting-Systems bedauerte.

ASO-Direktorin Ariane Rustichelli weist in einem aktuellen Interview dennoch darauf hin, dass sich immer mehr Kantone dem E-Voting zuwenden würden: Graubünden, Tessin und Jura haben sich in jüngster Zeit dafür entschieden. "Bei den Parlamentswahlen 2019 werden 10 Kantone eine Online-Abstimmung anbieten." Die Entwicklung gehe eigentlich in die richtige Richtung, sagt sie. (mho)