Glyphosat vor Gericht

Glyphosat lässt Bienen sterben, und ein Mann erkrankte an Krebs, weil er damit gearbeitet hat? 2018 könnte den Anfang vom Ende des Unkrautvernichters markiert haben – auch wenn die wissenschaftlichen Fakten dagegen sprechen.

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Glyphosat vor Gericht

Dewayne Johnson arbeitete mit dem Pflanzenschutzmittel Glyphosat und wurde tödlich krank – ein US-Gericht sprach ihm deshalb 79 Millionen Dollar zu.

(Bild: Foto: Josh Edelson/Pool/Reuters)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Edda Grabar

Dewayne Johnson ist 46 Jahre alt und ein gebeugter Mann. Die nächsten Jahre wird er wohl nicht überleben. Krebs breitet sich in seinem Lymphsystem aus. Früher war er Hausmeister, verantwortlich für die Schulen in einem Vorort von San Francisco. Seine Aufgabe sei unter anderem gewesen, die Gelände der Schulen frei von Unkraut zu halten, sagt er. Um der wuchernden Gräser Herr zu werden, setzte er enorme Mengen des Unkrautvernichters Roundup von Monsanto ein. Sein Hauptwirkstoff ist Glyphosat, das weltweit meisteingesetzte und umstrittenste Totalherbizid. Johnson glaubt, es habe seinen Krebs verursacht. Er zog vor Gericht und bekam recht. Im Oktober verurteilte eine US-Richterin Monsanto zu einer Strafzahlung von 79 Millionen Dollar an Johnson.

Die Wellen, die das Urteil schlug, erreichten Europa mit unverminderter Wucht. Denn der wichtigste Glyphosat-Hersteller gehört seit August 2018 offiziell zur deutschen Bayer AG. Das Unternehmen will gegen das US-Urteil Berufung einlegen, denn bleibt es bestehen, wird es eng: Über 9000 weitere Klagen dieser Art stehen an. Zudem machte im September eine Studie Schlagzeilen, die mit dem Urteil eigentlich nichts zu tun hat – aber von Glyphosat-Gegnern trotzdem oftmals im selben Zusammenhang angeführt wird. Sie zeigt, dass Glyphosat die Darmflora von Bienen verändert und so zum Sterben von Bienenvölkern beiträgt. Sollten die Umweltverbände also recht behalten? Ist Glyphosat schmutzig? Bundesumweltministerin Svenja Schulze jedenfalls kündigte im November an, den Einsatz des Mittels in Deutschland einschränken und bis 2023 ganz verbieten zu wollen. Haben die Zulassungsbehörden über Jahrzehnte versagt?

Roland Solecki, Leiter der Abteilung Sicherheit von Pestiziden am Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Berlin, verwehrt sich gegen diesen Vorwurf: Die Kritik an Glyphosat ignoriere die „Einschätzung nahezu aller Zulassungsbehörden für Pflanzenschutzmittel“, sagt er. Sie hätten den Unkrautvernichter nach der Überprüfung von mehr als 1000 Studien als keinesfalls gesundheitsschädlich und derzeit auch aus Umweltschutzsicht alternativlos für die Landwirtschaft eingestuft. Unterstützung erhält er von Daniel Dietrich, Umwelttoxikologe an der Uni Konstanz und Sachverständiger des EU-Parlaments: „Tatsächlich ist weder das Urteil ein Beweis dafür, dass Glyphosat krebserregend ist, noch belegt die PNAS-Studie, dass Glyphosat das enorme Bienensterben der letzten Jahrzehnte maßgeblich verursacht hat.“ Wie aber kommen diese völlig unterschiedlichen Bewertungen zustande?

Als 1974 der Agrarkonzern Monsanto den Unkrautvernichter auf den Markt brachte, galt er als besonders wirkungsvoll und unbedenklich. Glyphosat schädigt unspezifisch Pflanzen, indem es ein Enzym hemmt, das zur Bildung wichtiger Aminosäuren notwendig ist; im Körper von Menschen und Tieren kommt dieses Enzym nicht vor. Mehr noch, Glyphosat tat den Böden gut, weil die Landwirte das erodierende Pflügen reduzieren konnten. Sie setzten das Pflanzengift vor allem vor der Saat oder nach der Ernte ein, um ihre Felder frei von Unkraut zu halten. Mit den Nutzpflanzen selbst kam Glyphosat nur wenig in Kontakt.

Das änderte sich schlagartig in den 90er-Jahren mit dem Einzug von gentechnisch veränderten Pflanzen, die immun gegen Glyphosat waren. Auf einmal war es möglich, Soja, Baumwolle oder Mais selbst mit Glyphosat zu behandeln, ohne dass sie eingingen. Nun spritzten es die Landwirte auch kurz vor der Ernte. Die Folge: Der Verbrauch stieg von 3200 Tonnen im Jahr 1974 auf rund 826000 Tonnen pro Jahr 2014, die Rückstände in Lebensmitteln nahmen zu. Monsanto mit seiner geschäftlichen Verquickung von Chemie und misstrauisch beäugter Gentechnik wurde zum Feindbild der Umweltbewegung.

Diese wusste Ängste geschickt zu schüren. So etwa der französische Molekularbiologe und Gentechnik-Kritiker Gilles-Éric Séralini: 2012 wollte er bewiesen haben, dass gentechnisch veränderter Mais zusammen mit Glyphosat bei Ratten Tumore hervorruft. Doch die speziellen Ratten, die Séralini einsetzte, sind bekannt dafür, dass sie nach etwa 18 Monaten an diversen Leiden (etwa Krebs) erkranken. Die Studie war nicht haltbar, dafür aber eine Meinung geboren: Gentechnik und Glyphosat verursachen Krebs.

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