Hybride Kriegführung: Die digitale Rüstungsspirale ist bereits im Gang

Der Krieg finde in der digitalen Welt bereits statt – ohne Kriegserklärung, hieß es auf der Konferenz der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik.

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Bundeswehr trainiert für hybride Kriegsführung

(Bild: Gorodenkoff/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske
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Als ein "wahres Chamäleon" bezeichnete schon Carl von Clausewitz im Jahr 1832 den Krieg, "weil er in jedem konkreten Falle seine Natur etwas ändert". Wie weit diese Wandlungsfähigkeit gehen kann, hätte aber vielleicht selbst den scharfsinnigen preußischen Generalmajor überrascht. Keine 200 Jahre später wird es zunehmend schwerer, kriegerische Konflikte überhaupt als solche zu erkennen – digitale Medien machen‘s möglich.

Sönke Marahrens von der Führungsakademie der Bundeswehr brachte das Clausewitz-Zitat bei der Konferenz der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik zum Thema Informationstechnik im Kontext hybrider Bedrohungen in Bonn. Ausführlicher ging er auf einen 2013 publizierten Artikel des russischen Generalstabschefs Waleri Gerassimow ein, der einige Zeit unter dem Titel "Gerassimow-Doktrin" als eine Art neue Theorie hybrider Kriegführung missverstanden wurde. Tatsächlich, so Marahrens, "machen die nichts anderes als wir". Bereits Anfang der 1990er-Jahre hätten die USA im Rahmen des zweiten Golfkrieges das Konzept Effects-based Operations (EBO) entwickelt, bei dem militärische und nicht-militärische Methoden kombiniert würden, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen.

Seitdem haben sich die nicht-militärischen Möglichkeiten, einen Gegner zu treffen, dramatisch vermehrt. Krieg wird nicht mehr nur mit Waffen geführt, sondern mit Algorithmen. Fake News und Cyberattacken seien "preiswerte Wirkmittel", mit denen eine Gesellschaft nachhaltig verunsichert werden könne, sagte Ludwig Leinhos, Inspekteur Cyber- und Informationsraum der Bundeswehr. Territorialität werde durch Virtualität ersetzt und es werde immer schwieriger zu entscheiden, wann der Verteidigungsfall vorliege. Er ziehe es daher vor, von Konflikten zu reden statt von Krieg. Wie solche Konflikte aussehen können, ließe sich derzeit in der Ukraine beobachten. Dort waren im Dezember 2015 nach einer Cyberattacke auf die Elektrizitätsversorgung 80.000 Menschen vorübergehend ohne Strom.

Hybride Kriegführung, das sei die Kombination von konventionellen und unkonventionellen Methoden, die von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren eingesetzt würden, um den Gegner zu destabilisieren, definierte Hans-Christoph Atzpodien vom Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV). Er zitierte die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, die im Februar 2015 auf der Münchner Sicherheitskonferenz betont hatte, dass diese unerklärten Kriege erst durch die Gesamtbetrachtung der einzelnen Mosaikstücke zu erkennen seien. Um dieser Bedrohung besser gewachsen zu sein, setzte er auf eine digitale Konvergenz von Verteidigungsindustrie und IT-Branche und empfahl den Aufbau digitaler Notnetze.

"Die digitale Welt ist ein Schlachtfeld", formulierte recht prägnant Ansgar Rieks, stellvertretender Inspekteur der Luftwaffe. Wir müssten nicht darauf warten, dass der Krieg erklärt werde, er finde bereits statt. Als Abwehrmaßnahme empfahl er, den Freigeist zu fördern – was für das auf Befehl und Gehorsam beruhende Militär die vielleicht größte Herausforderung bedeutet. Auf die kritische Nachfrage, wie das denn geschehen solle, sagte er, dass damit zunächst einmal die Alten gefordert seien. Die Verantwortung, Prozesse zu verändern und Abladepunkte für Ideen einzurichten, liege bei der Leitung. Außerdem empfahl er die Lektüre des Computerkritikers Joseph Weizenbaum, dessen Bücher seien ein wunderbares Weihnachtsgeschenk.

Regulatorische Maßnahmen zur Eindämmung hybrider Kriegführung wurden eher skeptisch beurteilt. Wolfgang Rudischhauser von der Bundesakademie für Sicherheitspolitik verwies auf den von Microsoft formulierten Vorschlag einer digitalen Genfer Konvention, die unter anderem Angriffe auf kritische Infrastrukturen verbieten soll. Multilaterale Lösungen dieser Art seien grundsätzlich erstrebenswert, sagte er. Allerdings, so seine Befürchtung, sei der Zug wohl schon abgefahren, da Russland und China an solchen Abkommen offenbar nicht interessiert seien.

Eine besonders brisante Schnittstelle von konventionellem Krieg und Cyberwar ist die Kombination von tödlichen Waffen und Künstlicher Intelligenz. Es ist bemerkenswert, dass am ersten Tag der DWT-Konferenz gleich zwei Redner internationalen Abkommen gegen autonome Waffensysteme, über die seit einigen Jahren bei den Vereinten Nationen in Genf verhandelt wird, eine Absage erteilten. Sönke Marahrens hielt ein Verbot autonomer Waffensysteme für "unsinnig", da es solche Systeme, wie etwa das Raketenabwehrsystem Patriot, bereits gebe. Hans-Christoph Atzpodien bezweifelte ebenfalls, dass es zu einem internationalen Bann solcher Waffen kommen werde, da wir ja darauf vorbereitet sein müssten, dass andere diese Technologie nutzten. Die digitale Rüstungsspirale, so scheint es, hat bereits mächtig Schwung aufgenommen. (olb)