Post aus Japan: Der Tod des Pagers

Die ersten Pioniere des Digitalzeitalters sterben. In Nippon wird im kommenden Jahr das letzte Pagernetz des Landes eingestellt. Dabei zeigen Netzausfälle, wie wichtig Lowtech-Alternativen in der digitalen Kommunikation sind.

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Post aus Japan: Der Tod des Pagers

(Bild: Tokyo Telemessage)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Martin Kölling
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Jahrelang wirkte das japanische Unternehmen Tokyo Telemessage wie ein Kurator im Museum für gegenwärtige Digitalprodukte. Liebevoll hielt das Unternehmen in Tokio und umzu das letzte Pagernetz des Landes am Laufen. Für all diejenigen, die dank der Gnade der späten Geburt nicht wissen, was ein Pager ist: Das sind kleine Geräte, die einen piepsend von einem Anruf informieren und die Nummer des Anrufers darstellen, so dass man zum nächsten Festnetztelefon eilen kann, um einen Rückruf zu tätigen. Zudem ließen sich kurze Zahlencodes übermitteln. Doch ausgerechnet im 50. Jahr nach dem Start des ersten Pagers in Japan kündigte das Unternehmen jetzt an, den Dienst im kommenden Jahr einzustellen.

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

Die Presseerklärung des Unternehmens liest sich dabei wie eine liebevoller Abschiedsbrief. "Vielen Dank für Ihre Unterstützung unserer Pager (Magic Mail)", schrieb das Unternehmen. 20 Jahre seien vergangenen, seit die Pagerproduktion gestoppt wurde. Vielen Dank, dass sie ihre Geräte so vorsichtig benutzt haben. Dann erinnerte das Unternehmen noch einmal nostalgisch an den Pagerboom in den 1990er Jahren, um dann zum Grund für den traurigen Akt zu kommen. "Aber nun ist die Zahl der Nutzer auf unter 1500 gefallen."

Die letzten Aufrechten müssen dafür Verständnis haben. Es grenzt an Heldenmut, dass Tokyo Telemessage den Dienst solange aufrecht erhalten. Andere Anbieter zogen bereits vor zehn Jahren den Stecker, weil sich das Geschäft nicht mehr lohnte. Selbst in Krankenhäusern setzt das Personal seit langem auf Mobiltelefone, genauer gesagt das relativ alte, Japanerinnen PHS-Netz, das wenig Strahlung aufweist.

Dennoch dürften viele Japaner über 40 oder 50 Jahren angesichts dieser Nachricht ein wenig trauern. Denn die Pager waren in den 1990er Jahren für viele junge Japaner und vor allem Japanerinnen der erste Ausflug in die Mobilwelt, bevor sie sich Mobiltelefone leisten konnten.

1996 erreichte der Pagerboom seinen Höhepunkt mit mehr als zehn Millionen Verträgen. Und nicht nur betriebsame Geschäftsleute, Ärzte oder anderes Krankenhauspersonal nutzten die Geräte, sondern auch die technikaffine Jugend. Denn mit den Pagern ließen sich neben Nummern auch kurze Nachrichten übertragen.

Der Zahlencode 0840 ließ sich nämlich auf japanisch "o-ha-yo-o" (guten Morgen) lesen. 0833 wurde als "oyasumi" (gute Nacht) und 0906 als "okureru" (komme zu spät) wahrgenommen. Und natürlich spielten die Pager auch im TV und Popsongs eine Rolle. Doch Handys verdrängten die kleinen Informationsübermittler rasant, da sich nun richtige Textnachrichten übermitteln ließen, von Fotos und Telefonanrufen ganz zu schweigen.

Das Messaging will Tokyo Messenging allerdings nicht aufgeben. Auf den freiwerdenden Pagerfrequenzen will das Unternehmen einen neuen Dienst auflegen, der sich auf die Nachrichtenübermittlung im Katastrophenfall spezialisiert. Denn Mobilnetze haben den Nachteil, bei einem starken Beben entweder direkt durch die Zerstörung von Sendemasten oder wegen Überlastung nicht mehr zuverlässig zu funktionieren. Die Pagernetze sind stabiler.

Doch es muss nicht einmal ein Erdbeben sein. Moderne Netze sind auch anfällig für andere Kalamitäten wie gerade in diesen Wochen zwei Netzausfälle in Japan und Südkorea zeigten. In Japan erlebten gerade Softbanken-Kunden eine mobilfreie Zeit. Denn ein Fehler im System des Infrastrukturlieferanten Ericsson hatte das Netz gestört.

Dramatischer war noch der Fall in Korea. Im November brannte eine Schaltzentrale der Korea Telecom (KT) aus, woraufhin in Teilen der koreanischen Hauptstadt Seoul KTs Netz über ein bis zwei Tage ausfiel. Auch die Polizei, Krankenhäuser und Militärs waren betroffen.

Solidarisch sendeten daraufhin auch die zwei Konkurrenten KTs, SK Telecom und LG Uplus, ein Zeichen, wie wichtig sie Netzwerksicherheit nehmen. Das Trio sagte kurzerhand die Feierlichkeiten für den weltweit ersten großen Start ihrer kommerziellen 5G-Mobilnetze am 1. Dezember ab.

Damit wiesen sie auf eine gefährliche Nebenwirkung der neuen Hypervernetzung der Menschheit hin. Mit den 5G-Netzen werden auch immer mehr Maschinen, Sensoren, Autos und Haushaltsgeräte über das Internet verbunden. Eine Störung des Netzes würde damit immer größere Teile der Arbeits- und Lebenswelt empfindlich stören. Wir brauchen daher Lowtech-Redundanzen, die dann doch noch funktionieren. Zum Glück gibt es in Japan noch das Radio für die Kommunikation mit den Massen. Doch wie der Tod des Pagers zeigt, müssen wir Sicherheitsnetze für die persönliche Kommunikation wohl noch neu erfinden.

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