Verräterische Verwandtschaft

Eine Überführung nach der anderen: In den USA entdeckt die Polizei die genetische Ahnenforschung für die Verbrechersuche. Und auch in Deutschland wird die Fahndung per DNA-Profil zum Standard.

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Verräterische Verwandtschaft

Mehr als zwanzig Täter wurden inzwischen mithilfe der Ahnenforschungsexpertin Cece Moore in den USA überführt.

(Bild: Foto: Courtesy CeCe Moore)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Antonio Regalado
  • Brian Alexander
  • Veronika Szentpetery-Kessler

Die Verhaftung des „Golden State Killers“ Joseph DeAngelo im vorigen April war erst der Anfang. Rund 20 weitere Mörder und Sexualstraftäter wurden seither in den USA per DNA-Abgleich mit der Ahnenforschungsdatenbank GEDmatch aufgespürt. 2019 dürfte das Jahr werden, in dem die umstrittene Ermittlungsmethode in Übersee vollends zum Standard wird. Cece Moore hat diese Entwicklung vorausgesehen.

Zu Beginn der Nullerjahre begann sie als Laiin, sich für Ahnenforschung zu interessieren. Mittlerweile zählt die kalifornische Spezialistin für genetische Genealogie zu den führenden amerikanischen Experten auf diesem Gebiet. Sie veranstaltete Vorträge und Konferenzen über die genetische Ahnenforschung, gründete das Institute for Genetic Genealogy mit und assistierte als Expertin bei der Fernsehshow „Finding Your Roots“.

Möglich machte ihre Geschichte die inzwischen extrem günstige Entschlüsselung des Erbguts. Jeder kann heutzutage bei Unternehmen wie 23andMe einen Schleimhautabstrich einreichen und für derzeit nicht einmal 100 Dollar sein DNA-Profil bekommen. Anhand dieses charakteristischen Musters in der Basenabfolge lässt sich in Genealogie-Datenbanken nach Verwandten suchen. Mindestens 15 Millionen Menschen nutzen das Angebot in den USA bereits. Moore verwendete diese Informationen zunächst, um Stammbäume zu erstellen oder zu ergänzen. Sie ist bekannt für ein Verfahren, das die Verwandtschaft nicht über die Geschlechtschromosomen oder jene über die Mitochondrien weitergegebene mütterliche DNA nachweist. Moore setzt vielmehr auf die sogenannten autosomen Chromosomen – das Genmaterial unabhängig von den Geschlechtschromosomen. Denn dort lässt sich der Verwandtschaftsgrad zwischen Personen am Grad der Übereinstimmung ablesen. So ist das Erbgut zwischen Eltern und ihren Kindern zur Hälfte identisch, das von Cousins ersten Grades stimmt noch zu 12,5 Prozent überein. Je entfernter der Verwandtschaftsgrad, desto geringer die Übereinstimmung des Genmaterials.

Schon bald aber erkannte die 1969 geborene Moore, welche Macht in den Informationen über die reine Ahnenforschung hinaus steckt. Denn mit ihnen lassen sich unbekannte Väter unehelicher Nachkommen finden oder – was der Kalifornierin vielfach geglückt ist – die leiblichen Eltern von Adoptivkindern aufspüren. Und man kann Verdächtige in Kriminalfällen einkreisen, wenn bereits ein Verwandter sein DNA-Profil in der entsprechenden Genealogie-Datenbank hinterlegt hat.

Genau hier wird es indes brisant: Denn die Polizei will am liebsten auf die Erbgutinformationen zugreifen, ohne deren Besitzer gesondert fragen zu müssen. Genauso hat sie es bei der Überführung des Golden State Killers gehandhabt. Sie durchsuchte bei GEDmatch heimlich eine knappe Million DNA-Profile, was bei Bekanntwerden hitzige Diskussionen auslöste (siehe TR 6/2018, S. 63). Denn während einer Ermittlung geraten oft Unschuldige für eine Weile in den Fokus der Polizei. Ein weiteres ethisches Problem besteht darin, dass Nutzer bei Plattformen wie GEDmatch neben den eigenen DNA-Daten auch Angaben über Verwandte einstellen. Deren Privatsphäre ist somit beeinträchtigt, da der Dienst die polizeiliche Nutzung seiner Datenbank gestattet. Curtis Rogers und John Olson,

die Gründer von GEDmatch, warnen ihre Nutzer lediglich vor dieser Möglichkeit. Wer nicht einverstanden ist, dem bleibt nur die Option, sein Profil zu löschen. Marktführer Ancestry.com mit knapp neun Millionen Nutzern und 23andMe hingegen geben die Daten nicht an Ermittlungsbehörden heraus. Die Frage aber ist, wie lange sie damit durchkommen. (inwu)