Post aus Japan: Der Pinocchio-Zug

Japans Eisenbahngesellschaften arbeiten an ihren kommenden Shinkansen-Kreationen. Die Zugnasen werden dabei immer länger, um besser mit Flugzeugen konkurrieren zu können.

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Post aus Japan: Der Pinocchio-Zug

(Bild: JR East)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Martin Kölling

Eine der belebtesten inländischen Flugstrecken der Welt ist bisher die 90-minütige Reise zwischen Japans Hauptstadt Tokio und Sapporo, der Hauptstadt der nordjapanischen Insel Hokkaido. Neun Millionen Menschen wählten voriges Jahr den Flieger. Doch nun wollen die betreffenden Bahngesellschaften den Zug zu einem ernsthaften Konkurrenten aufbauen. Nicht nur werden Fahrgäste ab 2030 endlich ohne Umsteigen nach Sapporo fahren können. Zudem soll ein neuer Superschnellzug die Fahrtzeit von Zentrum zu Zentrum um drei auf unter fünf Stunden verkürzen.

Post aus Japan

Japan probiert mit Elektronik seit jeher alles Mögliche aus - und oft auch das Unmögliche. Jeden Donnerstag berichtet unser Autor Martin Kölling an dieser Stelle über die neuesten Trends aus Japan und den Nachbarstaaten.

Um diese Beschleunigung zu bewirken, will die Bahngesellschaft JR East die Spitzengeschwindigkeit des neuen Shinkansen um 40 km/h auf dann 360 km/h erhöhen. Wie das gelingen soll, zeigte die Bahngesellschaft JR East Mitte Dezember bei einer ersten Besichtigung des ersten Testzugs Alfa-X: Sie wollen dem Superschnellzug die Nase noch länger ziehen. Schon jetzt ähneln die Shinkansen-Züge mit ihren 15 Meter langen, merkwürdig geformten Zugnasen hässlichen Enten. Beim neuen Prototyp wachsen sie am Tokio zugewandten Wagen 1 nun auf 16 Meter und auf 22 Meter am Wagen 10, der Richtung Sapporo zeigt.

Damit wollen die Ingenieure herausfinden, wie viele Passagierplätze sie für die Beschleunigung der Zugreise opfern müssen. Und der Grund ist nicht simple Aerodynamik in der Fahrt übers freie Feld. Der Vorgänger des Alfa-X, der Fastech 360, erreichte bei Tests Spitzengeschwindigkeiten von 398 Kilometern pro Stunde. Doch im kommerziellen Betrieb musste er von den geplanten 360 auf 320 km/h gedrosselt werden – wegen des Lärms.

Die größte Hürde, die die Japaner dabei überwinden müssen, ist dabei der "Tunnelknall". Darunter wird die laute, schlagartige Entladung der von Superschnellzügen vor sich her getriebenen Druckwellen verstanden, die bei der Tunnelausfahrt entstehen kann. Dieses Phänomen wurde erstmals 1975 in Japan beobachtet. Und dies liegt nicht nur daran, dass das das Land der Pionier von Superschnellzügen ist, sondern auch an baulichen Gegebenheiten: In Japan sind die Tunneldurchschnitte kleiner als in Deutschland, wodurch das Phänomen schon bei niedrigeren Geschwindigkeiten auftritt.

Die Japaner versuchten, die knallartige Entladung durch Tunnelvorbauten zu verringern. Doch letztlich spendierten sie ihren Shinkansen immer längere und merkwürdiger geformte Nasen. Beim ersten Shinkansen glich sie noch einer Gewehrkugel (daher der Spitzname Bullet Train). Doch aerodynamische Experimente zeigten, dass die Vogelwelt besser die Luftströme verteilt. Im Alfa-X wird die Form jetzt allerdings deutlich komplexer.

Dies ist allerdings nicht die einzige Neuerung, die ab 2019 am neuen Zug ausprobiert wird. Ein Teil der neuen Bauteile dient dabei verbesserter Aerodynamik. Doch zugleich werden auf dem Zugdach neue Bremsklappen installiert, die bei Notbremsungen aufgestellt werden und damit durch erhöhten Luftwiderstand den Bremsweg verkürzen sollen.

Gleichzeitig wird JR East eine Wirbelstrombremse testen. Dabei handelt es sich um einen Elektromagneten im Fahrzeugboden, der im Ernstfall näher an die elektrisch leitfähigen Gleise gesenkt wird. Während der Fahrt entstehen dabei Wirbelströme im Magnetfeld, die bremsend wirken. 2013 erklärte Japans Eisenbahnforschungsinstitut RTRI nach Versuchen eines Prototyps, dass der Bremsweg so um ein Drittel verkürzt werden könnte.

Damit ist noch nicht gesagt, dass all diese Technologien später auch zum Einsatz kommen werden. Aber das große Heer an japanischen Trainspottern hat nun einen weiteren Grund, sich mit ihren Kameraausrüstungen an die Gleise zu stellen: Fotos von Japans neuesten zugtechnischen Innovationen.

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