ARD will Plattform mit Zeitungsverlagen für private TV-Sender öffnen

Der ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm spricht im Interview über seinen Online-Pläne.

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(Bild: dpa, Oliver Berg)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Bernward Loheide
  • Sven Gösmann
  • Roland Freund
  • dpa

Der ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm will im neuen Jahr eine gemeinsame Video-Plattform mit den Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen starten. Dies habe für beide Seiten Vorteile, sagte Wilhelm in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur in München. Die Verlage könnten mit den Videos der öffentlich-rechtlichen Sender ihre eigene Berichterstattung stärken. "ARD und ZDF würden ihre Herkunftsbezeichnung auf den Videos behalten und insofern auch nichts verlieren." Auch private TV-Sender könnten Teil einer solchen Plattform werden.

Sie werben für eine gemeinsame europäische Plattform von
Qualitätsanbietern. Aus der Politik gibt es dafür aber bisher wenig
Unterstützung.

Ulrich Wilhelm: In Frankreich gab es eine sehr positive Resonanz, auch
vonseiten der EU in Brüssel. Richtig ist, dass sich die Diskussion in
Deutschland noch sortieren muss. Ich werbe für einen ambitionierten
Ansatz, der Europa eine Selbstbehauptung im digitalen Raum
ermöglicht: eine gemeinsame digitale Infrastruktur, die von
unterschiedlichsten Anbietern etwa aus Kultur, Wissenschaft, Bildung
und den Medien für die Verbreitung ihrer Inhalte genutzt werden kann,
als Alternative zu den Plattformen der US-Giganten. Mitunter wird
darüber so diskutiert, als gehe es um ein Entweder-Oder zwischen
Regulierung der amerikanischen Plattformen und eigenen Initiativen in
Europa.


Worum geht es stattdessen?

Wilhelm: Um ein Sowohl-Als-Auch. Natürlich müssen die amerikanischen
Monopolanbieter stärker reguliert werden. Sie sind nicht nur neutrale
Plattformen, technische Drehscheiben, wie sie von sich behaupten,
sondern natürlich auch Inhalteanbieter. Europäische Marktlösungen
allein haben aufgrund des großen Vorsprungs der US-Anbieter nicht die
Kraft, dem etwas Gleichwertiges entgegenzusetzen. Hier braucht es
einen politischen Rahmen. Denn alles, was in Europa an Start-ups
erfolgversprechend ist, wird sonst aufgekauft oder in ein Ökosystem
der amerikanischen Anbieter eingemeindet, wenn es zu erfolgreich und
damit zu gefährlich werden würde.

Ihr Vorschlag wird oft als "europäisches YouTube" bezeichnet.
Trägt der Vergleich?


Wilhelm: Der Vergleich trägt insofern, als Video aktuell die
wichtigste Währung im Netz darstellt und wir auch für alle, die
Bewegtbild einer großen Mehrheit zugänglich machen wollen, nur
YouTube und Facebook haben. Auch Häuser, die wie wir traditionell
eine starke Kraft in der herkömmlichen Medienwelt haben, kommen
derzeit um die sozialen Medien und damit die US-Plattformen nicht
herum, wenn sie ihr Publikum im digitalen öffentlichen Raum erreichen
wollen. Daher plädiere ich für eine europäische Alternative. Mir
schwebt eine digitale Infrastruktur vor, über die Qualitätsinhalte
angeboten werden können und die den Austausch mit den Nutzern
ermöglicht, Elemente von YouTube, Facebook und Google bietet sowie
unterschiedlichste Geschäftsmodelle zulässt.

Fühlen Sie sich dabei von deutschen Medienpolitikern
belächelt?


Wilhelm: Hin und wieder wird das als Träumerei eingestuft. Damit kann
ich leben. Wer dies aber abtut, muss eine andere überzeugende Antwort
auf die Schlüsselfrage präsentieren: Wie können wir das Entstehen
immer neuer Teilöffentlichkeiten und damit die wachsende
Polarisierung unserer Gesellschaften abwenden, dieses Maß an
Abgrenzung, Hass und Feindseligkeit im Netz, das den inneren Frieden
und die Stabilität der Demokratie gefährdet.

Was ist der größte Widerstand gegen Ihre Idee?

Wilhelm: Ich fürchte: das mangelnde Vorstellungsvermögen, dass Europa
so etwas überhaupt noch leisten kann. Viele haben sich einfach
abgefunden mit einer faktischen Vormacht der US-Anbieter.

In einem weiteren Projekt haben Sie den deutschen Zeitungs-
und Zeitschriftenverlagen angeboten, Ihre Bewegtbildinhalte auf eine
gemeinsame Plattform zu stellen. Das Echo war ebenfalls verhalten,
oder?


Wilhelm: Teil, teils. Verlage, die selber keine Möglichkeit haben,
attraktiven Videocontent zu erstellen, haben uns signalisiert, dass
sie für eine solche Initiative aufgeschlossen sind und sie gerne
verwirklicht sehen. Aber es gibt innerhalb der Gesamtheit der Verlage
noch Diskussionsbedarf. Den warten wir ab. Anders als bei der
großangelegten europäischen Plattform-Idee geht es hier jedenfalls um
ein Modell, das wir ohne Hilfe der Politik allein mit Bordmitteln,
mit den Mitteln aller Beteiligten, realisieren könnten. Vorbild wäre
dabei ein Lizenzierungsmodell, vergleichbar mit dem Ansatz der
Austria Presse Agentur (APA) in Österreich.

Wollen Sie das noch in Ihrer Amtszeit als ARD-Vorsitzender
umsetzen?

Wilhelm: Ja, ich würde das gerne verwirklicht sehen, weil ich daran
glaube, dass es für beide Seiten Vorteile hat.

Welche denn?

Wilhelm: Die Verlage könnten mit diesen Videos ihre qualitativ gute
Berichterstattung ergänzen und stärken und dadurch - soweit die
Redaktionen das wollen - den hohen Aufwand vermeiden, in diesem
Umfang selbst Videocontent zu erstellen. ARD und ZDF würden ihre
Herkunftsbezeichnung auf den Videos behalten und insofern auch nichts
verlieren. Wir bekämen dadurch eine weitere Anerkennung in der
Gesellschaft für die Leistungen, die wir erstellen. Zudem wäre das
Modell offen für weitere Partner.

Auch für private TV-Sender?

Wilhelm: Auch das Modell in Österreich ist ja durchaus offen für
weitere Partner. Grundsätzlich würden wir den Weg mitgehen. (tig)