Der Futurist: Eingefleischte Vorurteile

Was wäre, wenn wir Fleisch züchten könnten?

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Der Futurist: Eingefleischte Vorurteile
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Jens Lubbadeh

Habt ihr noch etwas Fleisch übrig?" David Demain musterte den Mann vom Grill gegenüber.

Er sah gestresst aus. Hinter ihm stritten sich zwei kleine Jungen auf der Decke.

"Die Jungs haben Hunger. Ich hab zu wenig eingekauft."

David wollte schon "nein, sorry" sagen. Schließlich hatte er sich auf sein Steak gefreut. Er war lange Vegetarier gewesen, und damit sollte ab heute Schluss sein. Aber Andi kam ihm zuvor: "Na klar, kein Problem", sagte er und reichte dem Mann die Packungen.

"Oh, super, vielen Dank! Ihr seid meine Rettung."

Aber als sein Blick auf das Tierfreund-Label fiel, das lachende Schwein, zögerte er.

"Ist das Laborfleisch?"

David nickte: "Ja, klar. Richtiges Fleisch würden wir nie essen."

Der Mann gab ihnen die Packungen zurück.

"Ich glaube, ich komme doch klar."

"Was hatte der denn?", fragte Andi.

Echtes Fleisch war eigentlich völlig out, die Produktion in Deutschland nahezu zum Erliegen gekommen. Denn für Fleisch aus dem Bioreaktor musste kein Tier sterben, seine Klimabilanz war deutlich besser, und weil es mager war und keine Antibiotika enthielt, war es obendrein noch gesünder. Spätestens als der berühmteste Vegetarier der Welt, der Dalai Lama, das "Karma-Meat" empfahl, wurde es zum Riesenerfolg

Aber als David an diesem Abend die "Tagesschau" einschaltete, blieb ihm fast die Karma-Salami im Hals stecken. Ratten mit tischtennisballgroßen Geschwülsten schnupperten missmutig in die Kamera. "Diese Tiere haben sechs Monate lang ausschließlich Laborfleisch zu fressen bekommen", kommentierte ein Sprecher. Dann war ein Mann mit eckiger Brille im Bild: Guillaume Tantalini, Studienleiter.

"Alle Versuchsratten haben innerhalb kürzester Zeit Tumore entwickelt", sagte er. "Wir vermuten, weil die Zellen, aus denen das Fleisch gezüchtet wird, gentechnisch verändert sind. Wir müssen daraus schließen: Gen-Fleisch ist krebserregend."

Davids Telefon klingelte.

"Siehst du auch gerade die Nachrichten?", fragte Andi. "Haben wir das vorhin etwa gegessen?"

"Tja, das erklärt wohl, weswegen unsere Steaks verschmäht wurden."

Die Kampagne der verbliebenen Handvoll Echtfleisch-Produzenten kam gerade recht. Seit wenigen Tagen plakatierten sie im ganzen Land Frauengesichter mit vollen roten Lippen, die gerade in eine Wurst bissen. Darunter stand: "Ich steh auf echtes Fleisch." Die Unterzeile: "Natürliche Qualität ohne Gentechnik". Das Timing der Kampagne war perfekt. Zufall?

Nestlé, der Hersteller des künstlichen Fleischs, beeilte sich zu kritisieren, dass die Umweltschutzorganisation Greenplease die Studie in Auftrag gegeben hatte und ein klarer Interessenkonflikt bei Tantalini vorlag, wie auch schon bei seinen vorigen Studien zu Gen-Mais. Dass auch zahlreiche Wissenschaftler Tantalinis Ergebnisse nie reproduzieren konnten, interessierte niemanden mehr. Die Macht der Bilder war stärker: Nach einem Jahr zog Nestlé das Laborfleisch wieder vom Markt, und David wurde wieder Vegetarier.

Als drei Jahre später ein Ex-Greenplease-Mitarbeiter im Streit die NGO verließ, war seine Enthüllung den Medien nur noch eine Randnotiz wert: Die Fleischindustrie hatte lange vor Tantalinis Veröffentlichung eigene Rattenstudien gemacht, um dem Laborfleisch etwas anhängen zu können.

Sie ergaben unerwünschte Ergebnisse: Laborfleisch besserte die Blutwerte der Tiere. Die Ergebnisse hatte man unter Verschluss gehalten. In einem geheimen Treffen mit Greenplease versprach man, dass es dabei auch bleiben werde, wenn sie mit ihren Ergebnissen an die Öffentlichkeit gingen. Nichts eint so wie ein gemeinsamer Feind.

(jlu)