Realität statt Science-Fiction

In seinem Roman "Troll" erzählt Michal Hvorecky von der diktatorischen Macht von Hass und Hetze im Netz.

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Lesezeit: 2 Min.
Von
  • Günter Keil

Osteuropa in naher Zukunft: Die EU existiert nicht mehr. Stattdessen hat sich aus mehreren Staaten ein autoritäres Reich formiert. Oppositionelle, Künstler, Flüchtlinge und andere Randgruppen werden systematisch diskreditiert und schikaniert.

Im Auftrag der Regierung überfluten Tausende von Trollen Chatforen und soziale Netzwerke. Diese politisch motivierte Internetarmee verbreitet Hass, Vorurteile und Fake-News. Täglich gibt es neue Vorgaben, gegen welche angeblichen Feinde des Reichs gehetzt werden soll und welche Unwahrheiten gezielt gestreut werden sollen. Mit fatalen Folgen: „Die Trolle sorgten dafür, dass das Netz immer mehr den Sumpf der zornigen Seelen im fünften Kreis der Hölle ähnelte. Aus Angst, aus Gehässigkeit, aus Rachedurst, aus Hass gegen alle anderen und gegen sich selbst.“ Ein gefährlicher Kreislauf entsteht, in dem ahnungslose User die Parolen der Trolle aufnehmen und weiterverbreiten.

Mittendrin in einem der riesigen Trolling-Säle versucht der namenlose Held dieser Dystopie, das System von innen heraus zu überlisten. Gemeinsam mit seiner Freundin verbreitet er zunächst ebenfalls Lügen, um nicht aufzufallen. Doch insgeheim arbeiten die beiden jungen Leute daran, die Spirale der Desinformation zu stoppen. Ihr Ziel: Trolle, die Trolle entlarven und endlich wieder für Meinungsvielfalt und Aufklärung sorgen. Der riskante Plan kann die Aktivisten ins Gefängnis bringen. Doch die Computernerds haben nichts zu verlieren; am liebsten wäre ihnen, das Reich würde zusammenbrechen.

In erstaunlich hohem Tempo erzählt Michal Hvorecky diese brisante Geschichte. Der 41-jährige Slowake weiß genau, wovon er schreibt: Da er sich in seiner Heimat seit Jahren für den Schutz der Pressefreiheit und gegen antidemokratische Entwicklungen engagiert, wird er regelmäßig von Trollen angegriffen.

Mit seinem Roman zeigt Hvorecky souverän und schockierend, wie stark der Einfluss der Medienmanipulation in Osteuropa bereits jetzt geworden ist. Und er warnt damit vor einer zurzeit offenbar nicht zu stoppenden Entwicklung: Weltweit nutzen Regierungen, Militärs und Konzerne das Internet zur strategischen Manipulation der User.

„Die Wirklichkeit hat die Science-Fiction überholt“, heißt es an einer Stelle des schmalen, schnellen Buches – und tatsächlich: Noch vor fünf Jahren wäre Hvoreckys Szenario als originelle Utopie bezeichnet worden. Nun ist sie bittere Realität.

Michal Hvorecky: „Troll“, Tropen, 216 Seiten, 18 Euro (E-Book 13,99 Euro)

(anwe)