Datenkraken im Wohnzimmer – Ist die Privatsphäre noch zu retten?

Bald könnten Sprachassistenten unseren Alltag weitgehend regeln. Für einen besseren Schutz der Privatsphäre soll eine lokale Art der Datenverarbeitung sorgen.

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Datenschutz im Wohnzimmer – ist die Privatsphäre noch zu retten?

(Bild: Kaufdex)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Matthias Arnold
  • dpa
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Im Haus von Morgen genügt ein Sprachbefehl, um Badewasser einzulassen, eine Geste, um den Fernseher zu bedienen. Wann die Bewohner das tun, was sie gucken und welche Befehle sie geben – all das sind Informationen für Konzerne, die die Daten verwerten und damit Milliarden verdienen.

Rund die Hälfte der Sprachassistenten in Haushalten stammen gegenwärtig von Amazon und Google. Dem Technologiemarkt-Analysten Canalys zufolge soll die Anzahl der Geräte weltweit von derzeit rund 100 Millionen bis 2022 auf mehr als 300 Millionen zunehmen. Die Branchenexperten schätzen, dass nahezu drei Viertel der Geräte mit Technik von Amazon oder Google ausgestattet sein wird.

Datenschützern bereitet Sorgen, dass bei der Aktivierung von Alltagsassistenten, durch Stichworte wie "Ok Google", Aufnahmen inklusive Hintergrundgeräuschen in ihre jeweilige Cloud übertragen werden. Was in den zentralisierten, oft weit entfernten Serverstrukturen mit den Daten passiert, bekommen die Nutzer nicht mit. "Niemand möchte, dass alle Dinge, die vor Ort passieren, eins zu eins irgendwo hin übertragen und dort gespeichert werden", warnt Thomas Bendig, Forschungskoordinator am Fraunhofer-Verbund für Informations- und Kommunikationstechnologie in Berlin. Es sei notwendig, dass derartige Informationen beim Nutzer blieben.

Amazon teilt auf Anfrage mit, in der Cloud würden die Daten genutzt, um maschinelle Lern-Algorithmen zu verbessern, "damit Alexa noch besser verstehen und reagieren kann". Und: "Wir erlauben unseren Kunden, der Datenverwertung für Trainingszwecke in den Alexa-Einstellungen zu widersprechen." An Dritte würden keine Sprachdaten weitergegeben. Doch nach c't-Informationen ist bereits der Fall eingetreten, dass ein Amazon-Kunde anstatt der angefragten, eigenen Dateien ihm völlig fremde Aufzeichnungen von Alexa erhalten hatte.

Dabei existieren Möglichkeiten, Nutzer-Material vor Ort zu belassen. Eine Methode heißt Edge Computing – Rechenleistung am Rande (Edge) der Cloud. Die Daten werden dabei dezentral nah am Nutzer gesammelt und verarbeitet. "Das kann zum Beispiel der ganz normale Internetrouter übernehmen, den wir im Haus stehen haben", erklärt Andreas Seitz, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für angewandte Softwaretechnik der TU München – auch wenn handelsübliche Router bislang noch nicht dazu in der Lage seien. Möglich sei auch, dass solche Prozesse direkt auf der Hardware ablaufen, auf der die Sprachassistenten installiert sind. Das Start-up Snips, mit Sitz in Paris und New York, geht bereits diesen Weg.

Auch die Industrie, für die neben Informationsschutz auch Geschwindigkeit eine Rolle spielt, ist auf Datenverarbeitung jenseits der Cloud aufmerksam geworden. Bei intelligenten Maschinen müssten Rechenprozesse oftmals in Echtzeit ablaufen, sagt etwa Wolfgang Furtner, verantwortlich für Edge Computing beim Münchner Halbleiter-Hersteller Infineon. "Die Bandbreite und Reaktionszeit der Cloud ist auf Dauer aber einfach begrenzt, wenn jedes Gerät in der Industrie seine Daten dort verarbeiten lässt."

Deutlich schneller gehe es, wenn sie vor Ort verrechnet und an die Maschinen zurückgespielt würden. Über Edge-Geräte ließen sich Daten zudem bündeln und anonymisieren, bevor sie in die Cloud gehen. Infineon liefert dafür die Hardware.

Wird Edge Computing die Cloud also bald ersetzen? Nein, sagt Seitz von der TU-München. "Edge Computing ist eine Erweiterung der Cloud, beide Welten sind miteinander verbunden." Gerade bei Künstlicher Intelligenz oder maschinellem Lernen benötige man riesige Rechenpower für die Verarbeitung enormer Datenmengen. "Diese Dinge in einem Edge durchzuführen und das zu lernen, ist unrealistisch", sagt Seitz. Experten sind sich jedoch einig, dass Edge-Geräte Informationen filtern, bündeln und nur das Nötigste an die Cloud senden können – was für die Privatsphäre schon ein Fortschritt wäre. ()