Zahlen, bitte! Die Lochkarte: Mit 80 Zeichen wegweisend in die EDV

Herman Holleriths Lochkarten-Maschine führte nicht nur in das EDV-Zeitalter, sondern war auch der Grundstein für IBM und den abgeleiteten 80-Zeichen-Standard.

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Zahlen, bitte! Die Lochkarte: Mit 80 Zeichen wegweisend in die EDV
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Inhaltsverzeichnis

Die Lochkartensteuerung war bereits im 18. Jahrhundert bekannt. Und bereits 1805 baute der französische Erfinder Joseph-Marie Jacquard den ersten vollautomatischen und programmierbaren Webstuhl mit Lochkartenprogrammierung.

Zwar gab in Webstühlen schon vorher einfache Lochkartensysteme auf Holzplättchen, aber er führte die Steuerung durch Kartonlochkarten ein. Auch war das Prinzip von Musikautomaten bekannt. Doch wie wurde die Idee einer Datenverarbeitung damit realisiert?

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Herman Hollerith, am 29. Februar 1860 in Buffalo als Sohn eines aus der Pfalz in die USA eingewanderten Professors geboren, war ein hochbegabter, aber nicht ganz einfacher Schüler. Er brachte in seiner Jugendzeit mit seinem Dickkopf und einer Rechtschreibschwäche die Lehrer auf die Palme.

Es ist überliefert, dass er im Alter von 9 Jahren wegen eines anstehenden Diktats über das Fenster aus der Schule flüchtete und das wohlhabende Elternhaus sich danach für den Rest der Schulzeit für Privatunterricht entschied. Diese Entscheidung kam dem Talent des Filius für naturwissenschaftliche Themen und Zahlen sehr entgegen.

Nein, nicht Daimler-Chef Dieter Zetsche, sondern Herman Hollerith, der Erfinder der EDV durch Lochkarten.

(Bild: gemeinfrei)

Später absolvierte Hollerith ein Studium der Ingenieurwissenschaften an der Bergbauschule der Columbia-Universität. Nach dem Abschluss tüftelte er an einer elektromagnetischen Steuerung für die Luftbremsen von Eisenbahnzügen, womit er aber bei der Bahn auf taube Ohren stieß. Er arbeitete zudem im Patentamt und wurde danach in Vermittlung durch seinen Professor W. T. Trowbridge am US Census Bureau tätig, dem Statistikamt der USA. Dabei wurde Hollerith mit der Volkszählung von 1880 konfrontiert, in der mühsam Datenblätter von jedem US-Bürger mit jeweils über 200 Merkmalen über sieben Jahre lang durch die Mitarbeiter ausgewertet wurden.

Durch ein Gespräch mit John Shaw Billings, im Census Bureau für Sterblichkeitsstatistiken zuständig, erhielt Hollerith die Anregung, eine Maschine zu entwickeln, die eine solche Auswertung automatisiert übernimmt. Den entscheidenden technischen Kniff schaute sich Hollerith dabei bei den Eisenbahnschaffnern ab: Sie markierten die Fahrscheine an bestimmten Stellen, um Merkmale des Fahrgasts wie Geschlecht und Hautfarbe festzuhalten, was einen möglichen Fahrkartenmissbrauch erschweren sollte.

Dieses Prinzip übernahm er in seinen Lochkarten. Der Unterschied zu den Lochkartensystem in Webstühlen bestand zudem darin, dass er eine elektrische Abtastung einführte und die Lochkarten nicht ein System steuerten, sondern Informationen verarbeiteten. In vorgedruckten, standardisierten Karten wurden durch Lochung Zahleninformationen verschiedenster Art gespeichert. Binär entsprach demnach ein gestanztes Loch einer 1 (geschlossener Stromkreis) und kein Loch einer 0 (offener Stromkreis). Und diese Stromimpulse wurden von der Maschine ausgelesen und gezählt.

Die erste Lochkartenvariante um 1890 herum mit theoretisch bis 12x24 = 288 Lochvariationen. Die Karte war in etwa so groß wie eine damalige 1-Dollar-Note.
Die Ecken waren abgerundet um unempfindlicher gegenüber Reibung zu sein und unten rechts fehlte ein Stück aus Gründen der Passform. Spätere Lochkarten hatten diese Ecke links oben.

(Bild: Markus Will)

Das Lochkartensystem bestand aus Tabelliermaschine, Lochkartenlocher, Lochkartenleser und Lochkartensortierer. Das System meldete Hollerith zum Patent an, das er als Patent US 395,782 vor 130 Jahren, am 8. Januar 1889 erteilt bekam.

Die Überlegenheit seines Verfahrens demonstrierte Hollerith in einem Wettbewerb zur Volkszählung, in dem er vier Bezirke von St. Louis in gerade einmal fünfeinhalb Stunden auszählte, während der Mitbewerber dafür 48 Stunden brauchte. Somit wurde er damit beauftragt, die Volkszählung zu unterstützen., die ab dem 2. Juni 1890 durchgeführt wurde.

Und obwohl die Einwohnerzahl der USA mit 63 Millionen Einwohnern um 12,8 Millionen Einwohner (und damit über 25%) gewachsen war gegenüber der vorherigen Volkszählung, lag das Ergebnis der 43 beteiligten Hollerith-Maschinen bereits im Dezember des gleichen Jahres vor. Die Auswertung der vorigen Volkszählung 1880 dauerte dagegen mehrere Jahre.

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Hollerith hatte damit nicht nur dem amerikanischen Staat 5 Millionen Dollar eingespart, sondern auch die Grundlagen der elektronischen Datenverarbeitung geschaffen. Daraus machte er ein Geschäftsmodell: Während er die Maschinen an sich nicht verkaufte, sondern zu günstigen Konditionen an Staaten vermietete, erzielte er über den Verkauf der (Einweg-)Lochkarten die meisten Einnahmen.

Überliefert ist, dass er 1000 Stück zu dreißig Cent herstellen und für einen Dollar verkaufen konnte.

1896 gründete er dazu die Tabulating Machine Company (TMC). Vermietungen zu Volkszählungen in Österreich und Russland und weitere Staaten folgten. Weitere Tochterfirmen wurden auch gegründet. Der hiesige Ableger Deutsche Hollerith-Maschinen Gesellschaft mbH (DEHOMAG) wurde 1910 gegründet.

Allerdings tüftelte Hollerith lieber, statt ein Produkt weltweit zu vermarkten. Außerdem war er aufgrund seiner Jähzornigkeit kein einfacher Charakter und das Firmengeflecht über die weltweiten Lizenzfirmen schwer durchschaubar. Daher verkaufte er die TMC bereits 1911 an den Geschäftsmann Charles Flint und zog sich Schritt für Schritt aus dem Geschäft zurück. Er blieb als beratender Ingenieur mit schwindendem Einfluss, lebte auf seiner Ranch und starb 1929 an Herzversagen.

Die Hollerith-Lochkartenmaschine.

(Bild: CC BY 2.0 , Adam Schuster )

Die Firma, unter dem Namen Computing-Tabulating-Recording Company (C-T-R) tätig, nahm zu den Lochkarten noch weitere Produktfelder wie Uhren und Waagen hinzu. 1924 wurde die Firma, die mittlerweile im Lochkarten-Bereich eine marktbeherrschende Stellung hatte, zur International Business Machines Company (IBM), die Jahrzehnte später mit dem Personal Computer-Systemen die Welt erobern sollte.

Die 1928 patentierten IBM-Lochkarten mit 80 Spalten entwickelten sich nicht nur im Lochkartenbereich zum Industriestandard, deren numerische Anzahl nicht nur IBMs Programmiersprache Job Control Language (JCL) beeinflusste, sondern ist auch Ursprung der maximalen Breite von 80 Zeichen in verschiedenen Terminals oder E-Mail-Systemen.

In vielen Firmen gab es ganze "Hollerith"-Abteilungen. Neuentwicklungen wie das Magnetband ab 1940 und die Diskette ab 1971 lösten aufgrund der enorm höheren Kapazität die Lochkarte als Speichermedium ab.

Lochkarte IBM-Standard mit 80 Spalten.

(Bild: Fa. Gizeh)

Die standardisierte Erfassung der Bevölkerung durch Lochkarten führte auch zum wohl schwärzesten Kapitel der IBM-Geschichte. Mit den europäischen Tochterfirmen wie der deutschen DEHOMAG wurden von IBM auch in der Nazizeit Gewinne erzielt – und das unter anderem mit der Erfassung von Lagerinsassen in den Konzentrationslagern. Und nach dem Einmarsch in die Niederlande 1940 existierten dank der mit Hollerith-Systemen erfassten Volkszählung umfangreiche Bevölkerungs-Register aller niederländischen Juden. Die Identifikation und Deportierung war damit kein Problem.

Daher mahnt die bahnbrechende Erfindung des Lochkartensystems auch, dass Datenschutz und -sparsamkeit keine vernachlässigbaren Faktoren sind. Auch wenn man meint, man habe nichts zu verbergen - es besteht immer die Möglichkeit dass Daten in die falschen Hände geraten können und man plötzlich doch etwas zu verbergen hat. (mawi)