Warum bauen die Autohersteller nichts Besseres als Google Maps?

Klartext: Navis vor dem Jüngsten Gericht

Bei jeder neuen Infotainment-Generation wird es für den Autoschreiber schwerer, die Arbeit hinter diesen Systemen anzuerkennen, weil Android Auto das alles genausogut kann, aber keine 3000 Euro kostet. Vielleicht ist es an der Zeit, dass die Hersteller sich Google ergeben

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(Bild: Daimler)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Clemens Gleich
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Neulich, in einem Auto voller Hightech-Nerds. Navigation wird benötigt. „Wo ist Android Auto?“, fragt jemand. Ein paar Touchscreen-Drücker später beantwortet er sich die Frage selbst. Als das Google-Interface erscheint, spricht er den Zielort frei ein und los gehts. Niemand fragt nach dem Onboard-Navi. Google weiß, wo wie viel Verkehr ist, weil überall Android-Phones herumfahren. Google weiß, ob die Tanke, die du gerade anfährst, zur Ankunft überhaupt offen hat. Und Google weiß, dass die Autohersteller es trotz ihrer jahrzehntelangen Erfahrungen nicht geschafft haben, etwas Besseres in die Mittelkonsole zu bauen. Deshalb rufen sie horrende Preise dafür auf, nativ in der Mittelkonsole zu sein. Und so bleiben die Hersteller bei ihren Onboard-Navis, während der Nutzer mehr und mehr dazu übergeht, diese zu ignorieren.

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Die Tage habe ich mir BMWs neues OS7 angeschaut, Münchens neues Mittelkonsolen-System. Es bringt ähnlich viele Features wie Mercedes‘ MBUX, und ähnlich wie bei Mercedes muss der Kunde einiges neu lernen. Die klassisch hierarchische Baumstruktur des iDrive hat sich zwecks schnelleren Zugriffs verflacht, ist flexibler geworden. Der Sprachassistent erreicht das Niveau jenes von Mercedes – wenig verwunderlich, da beide Hersteller Nuance benutzen.

Schön vor allem, dass die Sprachassis auf den flotten Boards selbst laufen, statt dass die Sprache in der Hersteller-Cloud verarbeitet werden muss, was in Tunneln eben nicht klappt. Und dennoch fällt es mir schwer, konkrete, funktionale Vorteile der Onboard-Navis gegenüber Google Maps zu nennen, die einem im Alltag wirklich auffallen würden. Der Nachteil „neu lernen“ fällt dagegen jedem sofort auf.

Die Karte ist nicht die Mobilität

2015 kauften Audi, BMW und Daimler Here Maps zu je gleichen Anteilen. 2018 stiegen auch Bosch und Continental als kleine Anteilseigner ein. Diese Schritte markieren das Verständnis, dass es wider allen Willen doch nicht anders geht, als sich um die Digitaldienste der Mobilität kundengerecht zu kümmern. Trotzdem steht eine Einigung der Autohersteller über Verkehrsdaten noch in weiter Ferne. Also sagt dir dein Mercedes in Stuttgart sehr zuverlässig den Verkehr voraus. In Flensburg gilt das schon nicht mehr. Und in Sevilla bist du auf dich selbst gestellt. Dabei haben die Autohersteller einen Vorteil gegenüber Google: Sie können Autosensordaten in ihre Verkehrsvorhersagen einbeziehen, was bei genügend Datenpunkten für bessere Ergebnisse sorgen könnte.

An der Menge der Daten hapert es aber, solange nicht wenigstens alle neueren Autos erfasst werden. Die Hersteller wissen alle, dass sie eigentlich schon vor mindestens zehn, eher zwanzig Jahren miteinander gesprochen haben sollten, schoben es aber immer wieder vor sich her wie die unangenehme Reinigung eines Mannschaftsduschenabflusses, obwohl sie genau sehen konnten, wo Googles Reise hingeht: zum Anbieter des Standards in Sachen Routenplanung, sei es nun per pedes, per Fahrrad, per Auto oder per Massentransport. Die nächste, bereits weit abgeschlagene Konkurrenz kommt von Apple mit ihrem kleineren Anteil des Smartphone-Marktes, und selbst hier verwenden immer noch viele Nutzer lieber Google Maps als Apple Maps, bis sie im Auto per Apple CarPlay zur Cupertino-Variante gezwungen werden.

Don‘t be Opa

Heute weiß Google anhand unserer Android-Telefone immer am besten, wo ein Stau wie lange bestehen bleibt und wann es sich noch lohnt, ihn zu umfahren. Wenn die Autonavis mit ihren kargeren Daten reagieren, dauert der Umweg von der Autobahn hinunter häufig schon länger als auf der Bahn bleiben. Und das olle TMC ist sowieso wie dein Opa mit Internet-Memes: immer als letztes dran, wenn es keiner mehr braucht, will, versteht.

Wer sich fragt, wie sich Autohersteller als Profis in Sachen Mobilität so die Butter vom Brot haben nehmen lassen, der darf nicht vergessen, dass Googles schnelles Wachstum wie so viele US-Techfirmen vom Dünger der gigantischen Geldern profitiert hat, die das Militär ins Silicon Valley pumpt. Trotzdem wundere ich mich schon, wie lange jeder Autohersteller glaubte, er schaffe es schon alleine. Ich meine: Diese teuren Mittelkonsolen-Navis bringen doch traditionell ungeheure Mengen Geld durch die Konfiguratoren ein. Da klickte der Selbsterhaltungstrieb erstaunlich spät.