Entscheidungen in Zeiten des Internets: "Es braucht den Mut zum Scheitern"

Schlimmer als eine falsche Entscheidung ist gar keine, sagt der Hirnforscher Volker Busch. Dabei helfe das Internet wenig, Intuition viel. Und Fehler machen.

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Gehirn Neuronen
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Peter Ilg
Inhaltsverzeichnis

Wir leben in einer Zeit des Informationsüberflusses, im Internet finden sich auf alle Fragen Antworten. Aber ob die stimmen, muss man dann doch wieder überprüfen. Volker Busch ist Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie sowie Privatdozent am Lehrstuhl der Universität Regensburg. Im Interview erklärt er, wie unser Gehirn Entscheidungen trifft und welchen Einfluss das Internet darauf hat.

heise online: Jeder erwachsene Mensch trifft jeden Tag über 100.000 Entscheidungen. Ist unser Gehirn ständig am Rotieren?

Volker Busch

Volker Busch: Nein, weil wir die wenigsten Entscheidungen bewusst treffen. Damit das Gehirn nicht überlastet, entscheidet es vieles unbewusst, quasi automatisiert. Wie wir die Zahnbürste kreisen lassen oder im Auto Gänge hochschalten sind Beispiele dafür, dass nicht jedes Mal Für und Wider aufs Neue abgewogen werden. Das ist ökonomisch, weil es keine Kapazitäten bindet.

Anders ist das bei bewussten Entscheidungen, denn die verlangen unserem Gehirn deutlich mehr Leistung ab. Weniger bei trivialen Fragen wie nach dem Fernsehprogramm und viel mehr, wenn es darum geht, ob man den Ehepartner verlassen soll. Wenn Entscheidungen eine Bedeutung für die Zukunft haben, schaltet unser Gehirn den Verstand ein.

Mitunter ziehen sich schwierige Entscheidungen über Wochen oder Monate hin. Das erfordert vom Gehirn gewaltige Kraftanstrengungen. Wenn auch viel Nachdenken keine Lösung bringt, hilft irgendwann nur noch eins: Entscheiden, wie auch immer!

Wir leben in einer Gesellschaft, die eine Vielzahl an Optionen bietet. Folgt daraus, dass unser Gehirn immer mehr entscheiden muss?

Gestiegen ist die Anzahl an Alternativen für bewusste Entscheidungen. Man denke nur an die Menge der Fernsehprogramme, Müsliriegelsorten im Supermarkt oder möglichen Ausbildungsberufe.

Letztendlich führt eine Fülle an Optionen nachweislich dazu, dass sich Menschen bei Entscheidungen schwer tun: sie wählen unsicher, fühlen sich dabei unwohl oder sie treffen notwendige Entscheidungen überhaupt nicht.

Auf jede unserer Fragen finden wir bei Google hunderte Antworten. Die Masse an Informationen hemmt also eher Entscheidungen, anstatt hilfreich zu sein?

So ist es! Auswahl zu haben ist zunächst ein Gewinn an Lebensqualität, kann aber rasch eine kritische Größe überschreiten, wenn sie ausufert. Dann wird aus der Wahl eine Qual. Zu viele an Informationen und Optionen führen zur Entscheidungsmelancholie mit der Konsequenz des Zweifels an der getroffenen Entscheidung. Daraus entsteht ein ungutes Gefühl.

Warum eigentlich fallen uns Entscheidungen mit Tragweite oft schwer?

Weil wir nach Perfektion streben. Perfektionismus ist ein Teil unserer Kultur geworden, in der Fehler keinen Platz mehr haben. Wer nicht mit Mut zum Scheitern durchs Leben geht, der hat mit wichtigen Entscheidungen gewaltig zu kämpfen, weil er jede Option drei, viermal überprüft – und wahrscheinlich mit dem Ergebnis unzufriedener ist als jemand, der sich sagt: ich entscheide so gut ich kann und wenn es anders kommt, lerne ich daraus! Basta. Immer alles richtig machen zu wollen, steht einer gesunden Entscheidungsfindung oft entgegen. Viel schlimmer als falsch zu entscheiden ist es nämlich gar nicht zu tun.

Stimmt die Weisheit: Nur aus Fehlern lernt man?

Uneingeschränkt. Falsche Entscheidungen sind notwendig, um sich persönlich weiter zu entwickeln. Wir müssen wieder lernen, dass Fehler zum Leben gehören.