Die Open-Source-Nerds werden politisch – Eindrücke von der FOSDEM

Im kalten Brüssel diskutiert die Open-Source-Community über Menschlichkeit und Fake News. Ein Reisebericht von der FOSDEM.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 104 Kommentare lesen
Reisebericht von der FOSDEM-Konferenz in Brüssel: Die Open-Source-Nerds werden politisch

Essens-Ausgabe im Schneematsch: Wer zur FOSDEM kam, brauchte auch in diesem Jahr wasserdichte Kleidung.

(Bild: Fabian A. Scherschel)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Fabian A. Scherschel

Das europäische Treffen der Freien-und-Open-Source-Software-Entwickler, kurz FOSDEM, ist keine glamouröse Konferenz. Sie findet traditionell Anfang Februar in Brüssel statt und das Wetter ist bestenfalls unangenehm kalt, oft muss man sich mit Schneematsch oder Schlimmerem herumschlagen. Dazu kommen überfüllte Busse und vollgestopfte Hörsäle in einem unansehnlichen Universitätsgebäude. Trotzdem ist die FOSDEM die mit Abstand wichtigste Konferenz in der Open-Source-Welt.

Das liegt auch daran, dass sie von Anfang an von Freiwilligen auf die Beine gestellt wurde und die Priorität auf dem Community-Gedanken der Veranstaltung liegt und nicht darauf, Geld zu verdienen. Deswegen ist der Eintritt frei und die Konferenz finanziert sich aus Sponsoren-Geldern und T-Shirt-Verkäufen. Die Sponsoren haben keinen Einfluss auf den Inhalt der Vorträge – was immer mal wieder offensichtlich wird, wenn ein Entwickler gegen den einen oder anderen prominenten Geldgeber der FOSDEM vom Leder zieht.

Fast wirkt es, als wollten die Veranstalter unter keinen Umständen irgendetwas aufkommen lassen, was auch nur im Entferntesten nach Glamour aussehen könnte. Schließlich geht es hier um Themen von Nerds für Nerds. Das Konzept geht auf – seit fast zwanzig Jahren.

Jeder, der in der Linux- und der Open-Source-Gemeinde einen Namen hat, trifft sich hier. Vom System-Chefentwickler über Funkamateure bis hin zu den Entscheidern fast aller Linux-Distributionen. Muss man etwas Technisches mit einem wichtigen Mitarbeiter einer Linux- oder Open-Source-Firma besprechen, kann man sich sicher sein: Diese Person läuft hier irgendwo herum. Und im Zweifel kann man sie zu einem Kaffee oder einem Bier abfangen. Nur sich zu finden ist gar nicht so einfach, denn die FOSDEM wird seit Jahren immer voller. Der Campus der Freien Universität Brüssel platzt mittlerweile dermaßen aus den Nähten, dass es auch dieses Jahr wieder ein Spiel dazu gab, wer die meisten Vorträge verpasst, weil der entsprechende Raum wegen Überfüllung geschlossen ist.

Auch viele der Dinge, die in den verschiedensten Open-Source-Projekten über das kommende Jahr hinweg passieren werden, wurden in den letzten drei Tagen auf der FOSDEM oder in ihrem Umfeld geplant. Nach der Konferenz sind die Restaurants und Bier-Bars der Stadt voll mit kleinen Gruppen von Software-Entwicklern, die den Großteil des Jahres sonstwo auf der Welt von zu Hause arbeiten und nun die Weichen ihres Projektes für das nächste Jahr stellen. Und auch der eine oder andere Business-Deal großer Firmen wie Red Hat, SUSE oder gar Google, wird im selben Umfeld abgeschlossen.

In diesem Jahr drehten sich viele Vorträge, aber auch die Diskussionen auf den Gängen, um die gesellschaftlichen und politischen Folgen von Software-Entwicklung. Trump und die Krise in der europäischen Politik sind auch bei den Open-Source-Entwicklern angekommen. Vielerorts war man sich einig, dass sich die Entwickler der freien und Open-Source-Software ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nicht entziehen können.

Wichtig war vor allem, der proprietären Software-Entwicklung entgegenzuwirken, die von Firmen vorangetrieben werde. Software, welche die Gesellschaft verbessere, könne nur freie Software sein, so das Fazit vieler in Brüssel an diesem Wochenende. Dieser Tenor zog sich unter anderem durch die Vorträge von Tor-Chefentwickler Roger Dingledine, durch die Keynote von Bradley Kuhn und Karen Sandler von der Software Freedom Conservancy und spiegelte sich auch im Konzept hinter Tim Berners-Lees WWW-Alternative Solid wider.

Vorbei scheinen die Zeiten apolitischer Software-Nerds, denen es bei ihrer Konferenz ausschließlich um technische Neuerungen geht. Jetzt, wo Linux auf dem Desktop für die meisten alltäglich ist und jeder zwischen einem Dutzend Programmiersprachen für seine nächste Web-Applikation wählen kann, sind die neuen Herausforderungen der Kampf gegen Desinformation und staatliche Propaganda (heutzutage auch gerne als Fake News bezeichnet) und das Zurückerlangen von Privatsphäre und humanen Umgangsformen im Netz. Diese Themen schienen den meisten der versammelten Entwicklern an diesem Wochenende viel wichtiger zu sein, als die Frage, was sich bei Red Hat unter der Führung von IBM im nächsten Jahr ändert. (cbr)