Kfz-Kennzeichen-Scanning auf dem Prüfstand

Laut Bundesverfassungsgericht muss es neue Regeln fürs Kfz-Kennzeichen-Scanning geben. Die Überwachung von Dieselfahrverboten ist nicht ausgeschlossen.

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Kfz-Kennzeichen-Scanning auf dem Prüfstand
Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Christiane Schulzki-Haddouti
Inhaltsverzeichnis

Die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts zum Kfz-Kennzeichen-Scanning sind auslegungsfähig, wie erste Reaktionen zeigen. Sie beziehen sich auf die Schleierfahndung in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen, können aber nicht einfach auf alle Kfz-Erfassungssysteme bezogen werden.

Laut Bundesverfassungsgericht müssen die Länder den Kfz-Kennzeichen-Abgleich "auf den Schutz von Rechtsgütern von zumindest erheblichem Gewicht" beschränken. Es dürfen "jeweils nur die Fahndungsbestände zum Abgleich herangezogen werden", "die zur Abwehr der Gefahr geeignet sind". Außerdem dürften die Länder nur das regeln, was in ihre Kompetenz fällt. Bayern darf demnach die Kennzeichenerfassung für den Grenzschutz, für den die Bundespolizei zuständig ist, nicht mehr einsetzen.

Ein Sprecher des bayerischen Innenministeriums sagte gegenüber heise online, dass möglicherweise die Anlagen an grenznahen Orten abgebaut werden müssen. Außerdem werde überprüft, welche Straftatbestände für die Schleierfahndung genutzt werden. Dazu gehört es, die Entscheidungsgrundlagen für konkrete Kontrollen zu dokumentieren. Grundsätzlich sieht Bayern jedoch keinen Grund, seine bisherige Fahndungspraxis wesentlich zu ändern, für die auf Daten der Inpol-Datenbank zugegriffen wird.

Hessen und Baden-Württemberg nutzen bisher für den Datenabgleich die Sachfahndungsdaten des Schengener-Informationssystems, womit zunächst nicht nach dem Zweck der Kennzeichenkontrolle unterschieden wird. Das Gericht verlangt, dass der Datenabgleich auf die Fahndungsbestände beschränkt sind, die für die Kontrolle bedeutsam sind. Die Länder müssen also eine andere, spezifischere Datenbasis für die Schleierfahndung nutzen.

Die Innenministerien von Hessen und Baden-Württemberg äußerten sich bislang noch nicht zu dem Urteil. Der Freiburger Rechtsanwalt Udo Kauß, der die Beschwerdeführer aus Bayern und Baden-Württemberg mit Unterstützung der Humanistischen Union vertritt, freut sich über das Urteil und betont, dass damit "nicht mehr pauschal polizeiliche Dateien für den Abgleich mit den eine Kontrollstelle passierenden Fahrzeugen eingesetzt werden" dürfen.

Wie steht es nach dem Beschluss nun um das geplante Kfz-Kennzeichen-Scanning aller Fahrzeuge, um Fahrverbote für bestimmte Fahrzeuge aus Gesundheits- und Umweltgründen durchzusetzen? Diese ist nach wie vor im Bereich des Möglichen, da die Überwachung räumlich begrenzt stattfindet und für einen grundrechtlich hoch bewerteten Zweck unternommen wird, erklärt der baden-württembergische Landesdatenschützer Stefan Brink im Gespräch mit heise online. Das Gericht hält anlasslose Kontrollen für möglich, wenn sie an der "besonderen Verantwortung der Betroffenen für die Allgemeinheit" anknüpfen.

Der Bürgerrechtlicher Patrick Breyer hingegen glaubt, dass die Fahrverbots-Scanner-Pläne vom Tisch seien, weil sie nicht dem Schutz von Rechtsgütern von erheblichem Gewicht dienen. Dem Vernehmen nach könnten sie aber auch aus politischen Gründen scheitern. In der SPD-Bundestagsfraktion wachse die Kritik an dem Überwachungsvorhaben von CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer.

Brink bedauert es, dass die Karlsruher Richter keine klaren Kriterien aufgestellt haben, anhand derer sich die Rechtmäßigkeit eines solchen Einsatzes rasch klären lasse. Stattdessen führe die am Verfassungsgericht weit verbreitete "Abwägeritis" dazu, in immer feineren argumentativen Verästelungen Möglichkeitsräume zu eröffnen. Die Politik neige dann dazu, diese Räume bis auf das Maximale auszunutzen. Anstatt also einer datenschutzfreundlichen "Blauen Plakette" bei den Dieselfahrverboten den Vorzug zu geben, setze sie lieber auf die grundrechtsinvasivere Kennzeichenerfassung.

Das Gericht betonte aber auch, dass der für die Fahndung vorgenommene Kfz-Kennzeichenabgleich ein Grundrechtseingriff bei allen betroffenen Autofahrern sei, "unabhängig davon, ob die Kontrolle zu einem Treffer führt". Angelehnt an das Volkszählungsurteil von 1983 hält das Gericht dabei fest: "Zur Freiheitlichkeit des Gemeinwesens gehört es, dass sich die Bürgerinnen und Bürger grundsätzlich fortbewegen können, ohne dabei beliebig staatlich registriert zu werden, hinsichtlich ihrer Rechtschaffenheit Rechenschaft ablegen zu müssen und dem Gefühl eines ständigen Überwachtwerdens ausgesetzt zu sein."

Damit ändert das Gericht seine bisherige Rechtsprechung grundsätzlich. Dass die Kennzeichenerfassung so als Grundrechtseingriff bewertet wird, begrüßt Brink. Das vorausgehende Urteil von 2008 hatte nämlich Nichttreffer nicht als Grundrechtseingriff bewertet. Diese Bewertung sei den Datenschützern dann auch bei anderen Szenarien wie etwa der Gesichtserkennung an Bahnhöfen wieder "auf die Füße gefallen". Die jetzt vorgenommene Korrektur sei daher "überfällig" und "sehr wichtig". Anwalt Kauß sieht nun für die "pauschale und anlasslose Kontrolle "enge Bandagen" gezogen: "Das Bundesverfassungsgericht hat damit den Phantasien einer rundherum und ohne konkreten Anlass permanent überwachten Gesellschaft einen Riegel vorgeschoben."

Die Erfassung von Kennzeichen für die Abrechnung der Maut auf Autobahnen ist weiterhin erlaubt. Auch für Blitzer-Anlagen darf sie noch verwendet werden. Hier wird nämlich nur der Fahrer erfasst, der bei der Geschwindigkeitsübertretung unmittelbar in flagranti erwischt wird. Anders ist das jedoch bei neuen Geschwindigkeitsmesssystemen, die unterschiedslos alle Fahrzeuge erfassen, sagt die niedersächsische Datenschutzaufsicht. Sie fordert daher, die Pilotanlage zur abschnittsweisen Geschwindigkeitsüberwachung (Section Control) auf der B6 sofort stillzulegen. (anw)