Selfies auf Diät setzen

Mit wenigen Klicks können wir uns auf Fotos als Hochglanzmagazin-Models präsentieren. Aber was macht das mit uns?

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Anton Weste

Retusche ist so alt wie die Fotografie. Moderne Apps mit KI-Unterstützung erlauben es jedem auch ohne tiefere Bildbearbeitungskenntnisse Selbstporträts nach Wunsch aufzuhübschen. "Unreinheiten mit nur einem Wisch entfernen" – "Zähne für ein schöneres Lächeln aufhellen" – "Gesichtspartien formen" So wirbt beispielsweise die App Facetune, "der Foto-Editor für perfekte Selfies". Mehr als 5 Millionen Downloads stehen zu Buche.

Was macht es mit uns, wenn wir uns aufwandslos im Stil von Models aus Hochglanzmagazinen präsentieren können? Wie stark nutzen wir das? Das hat den Fotografen John Rankin Wadell interessiert, der auch Bilder für Formate wie Germanys Next Topmodel aufnimmt, Verzeihung, "shootet". Rankin fotografierte 15 Teenager und bat sie anschließend ihre Bilder mit einer Retusche-Software so weit zu bearbeiten, bis sie ihnen tauglich für ein Posting in sozialen Netzwerken erschienen.

Die aufgenommenen und veränderten Bilder dieses Projekts "Selfie Harm" stellte Rankin zum Vergleich gegenüber. Die Teenager unternahmen sehr ähnliche Änderungen und näherten sich Gesichtsmerkmalen an, wie sie in den Medien so oft als gleichförmiges Ideal weiterverbreitet werden. Die meisten spendierten sich eine schmalere Nase und ein schlankeres Gesicht, löschten Hautflecken aus, vergößerten Lippen und Augen. Details gehen im Weichzeichnerbrei verloren. In einigen Fällen erkenne ich die Originalaufnahme kaum wieder.

Rankin sagt, die Teenager orientieren sich an ihren Idolen. Er möchte mit dem Projekt darauf aufmerksam machen, wie Social Media schädliche Wirkungen auf das Selbstbild von Menschen hat. "Das ist nur ein weiteres Beispiel, warum wir in einer Welt von FOMO (Fear of missing out = die Angst etwas zu verpassen), Traurigkeit, erhöhter Angst und Snapchat-Dysmorphie leben", ergänzt er. Die mit dem Projekt verbundene Seite Visual Diet sieht Mediennutzer als Gefangene eines Bilderstroms:

"Im Zeitalter des Influencers werden wir jeden Tag mit Tausenden von Bildern überschwemmt. Hyperretuschierte, verführerisch kostenlose Bildhäppchen werden schnell und flüchtig aufgetischt. Sie lassen uns oft hohl und unzulänglich fühlen. Das sind die leeren Kalorien. Die visuellen Kalorien, mit denen wir uns nur beschäftigen, weil sie da sind. Unser Appetit auf diese Art von Inhalten ist unersättlich. Es ist visueller Zucker und wir sind süchtig."

Wie Rankin zugibt, hätten Fotografen wie er schon seit Jahrzehnten durch die professionelle Retusche mit Photoshop den Weg für diesen Stil geebnet. Aber diese Apps wie Facetune "sind etwas ganz Neues und meiner Meinung nach viel gefährlicher", sagt er. "Noch beängstigender ist, dass es keine oder nur wenige Diskussionen darüber gibt. So etwas wie Photoshop, das ein viel komplexeres und unzugänglicheres Programm ist, ist hingegen tatsächlich Teil einer großen ethischen Diskussion."

Was tun? Visual Diet möchte den Selfiewahn gerne auf Diät setzen und spricht sich für eine bewusstere Medienproduktion aus – sowohl auf Seiten professioneller Fotografen und Grafiker wie auch bei den Nutzern sozialer Netzwerke. Das bewusstere Auswählen, welche Bilder man teilt und mit einem Like belohnt, soll helfen das Hamsterrad des steten Selbstvergleichs aufzuhalten.

(anwe)