Nachrichten in schlechter Gesellschaft

Von Nutzern generierte Inhalte können eine willkommene Einnahmequelle sein. Doch wie eine neue Studie zeigt, bringen sie zugleich das Risiko mit sich, das Image von Medien-Angeboten zu verschlechtern.

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Nachrichten in schlechter Gesellschaft

Menschen im Internet.

(Bild: Photo by rawpixel on Unsplash)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Sascha Mattke
Inhaltsverzeichnis

„Tiefer und primitiver geht es wirklich nicht mehr“, „armseelig“, „entwürdigendes Schauspiel“, „mordsmäßig brauner Senf und alles so Gaga. Grandios Gaga.“

Das ist eine kleine Auswahl von Leserkommentaren zu einem in der vergangenen Woche auf einer großen deutschen Nachrichten-Seite erschienenen Artikel über die junge Umweltaktivistin Greta Thunberg. Wie sie zeigt, kann es im Internet hoch hergehen. Und solche Äußerungen sind nicht nur juristisch heikel, sondern können laut einer neuen Studie auch das Ansehen eines Nachrichten-Angebots bei anderen Lesern beschädigen.

Eine Zeitlang galten Leserkommentare, modern als „user generated content“ bezeichnet, als die Zukunft. Bei Facebook fußt das gesamte Geschäftsmodell auf dem, was die eigenen Nutzer von sich geben, und auch Online-Zeitungen freuten sich über seitenweise kostenlose Inhalte von ihren meinungsfreudigen Lesern. Mittlerweile aber haben viele von ihnen die Kommentarfunktion stark eingeschränkt oder ganz abgeschaltet, weil die Probleme überwiegen.

Da wäre zum einen die schwierige Vermarktbarkeit. Mehr Inhalte bedeuten mehr Platz für Werbung. Aber weil Leser als Schreiber nun einmal machen, was sie wollen, lassen sich Anzeigen in Kommentar-Bereichen schlechter verkaufen als über, neben oder unter redaktionellen Artikeln – potenzielle Kunden fürchten die unkontrollierte Nachbarschaft.

Hinzu kommt, dass die Betreiber von Internet-Angeboten für Beiträge ihrer Nutzer in die Haftung genommen werden können. Ob es um Beleidigungen geht, um Verleumdung, Volksverhetzung oder auch nur um Verstöße gegen Urheberrecht: Wenn sich der eigentliche Schuldige nicht mit vertretbarem Aufwand ermitteln lässt, was bei offenen Meinungsforen häufig der Fall ist, gilt der Betreiber als „Mitstörer“, der juristisch in der Verantwortung steht. Ende 2018 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass ein Verlag selbst dann schadenersatzpflichtig werden kann, wenn er rechtswidrige Inhalte nach einem Hinweis darauf sofort löscht.

Und als wenn all das noch nicht problematisch genug wäre, wird zunehmend klar, dass abwertende Kommentare obendrein negative Auswirkungen auf die Wahrnehmung von Medienangeboten haben. Die Polterer im Netz werden von anderen Nutzern also offenbar nicht etwa ignoriert, sondern zeigen durchaus Wirkung. Das zeigte sich schon in einer Studie deutscher Wissenschaftler aus dem Jahr 20016: Nutzer bewerteten die journalistische Qualität von Artikeln schlechter, wenn darunter anstößig formulierte Kommentare zu finden waren.

Die Mitte Januar veröffentlichte neue Studie von Ori Tenenboim, Gina Masullo Chen und Shuning Lu vom Center for Media Engagement der University of Texas in Austin kommt sogar zu einem noch weitergehenden Schluss: Überwiegend unflätige Kommentare unter einem Artikel sorgen dafür, dass nicht nur dieser Artikel, sondern das gesamte Angebot einer Medienmarke schlechter angesehen wird.

Um das herauszufinden, wählten die Forscher zunächst mehrere Nachrichten zu kontroversen Themen wie Einwanderung und Klimawandel aus. Diese Artikel präsentierten sie dann 1056 Probanden, wobei darunter entweder überwiegend „unzivilisierte“ (definiert als obszön, beleidigend oder ausschließlich in Großbuchstaben geschrieben) oder überwiegend normale Kommentare oder eine ausgewogene Mischung aus beidem standen. Inhaltlich wurden die Kommentare so ausgewählt, dass jeweils die Hälfte den einen möglichen Standpunkt unterstützte, die andere Hälfte den anderen. Damit sollte erreicht werden, dass nur der Ton der Kommentare einen Einfluss hat, nicht ihre Ausrichtung.

Das Ergebnis war deutlich: Wer im Internet Artikel mit einer Mehrzahl von unflätigen Kommentaren darunter liest, bewertet das gesamte Angebot der jeweiligen Medienmarke deutlich schlechter, als wenn dort ausgewogen oder überwiegend zivil kommentiert wird. Leser sehen das Angebot dann weniger positiv und messen ihm einen weniger hohen Wert bei. Gerade der zweite Punkt dürfte in Zeiten, in denen Verlage verstärkt mit Abo-Modellen statt nur Werbung Geld verdienen wollen, heikel sein.

Was also ist zu tun? Laut der Studie haben Versuche, mit eigenen Kommentaren der Redaktion am Anfang einer Diskussion einen guten Eindruck zu vermitteln, keine Wirkung: Bei insgesamt überwiegend unflätigen Kommentaren bleibt die schlechte Bewertung unabhängig von ihrer Reihenfolge erhalten. „Die Wahrnehmung eines Angebots war fast identisch, ob die Nutzer zivilisierte oder unzivilisierte Kommentare zuerst sahen“, halten Tenenboim und Kollegen fest.

Wer verhindern möchte, dass abwertende Äußerungen von Lesern andere vergraulen, hat deshalb wohl keine andere Wahl, als aktiv für einen überwiegend positiven Ton in den Kommentaren zu sorgen.

Doch auch diese Vorgehensweise hat, abgesehen vom personellen Aufwand, juristische Grenzen: Facebook wurde von einem deutschen Gericht bereits die Löschung eines Kommentars verboten, der gegen die eigenen Richtlinien der Plattform verstieß, aber vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt war.

(sma)