Tierwohl: Huhn oder Hahn?

Weil die Eierindustrie nur weibliche Küken braucht, tötet sie alle männlichen. Nun gibt es erste marktreife Verfahren, die diese Praxis beenden könnten.

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Tierwohl: Huhn oder Hahn?

(Bild: Photo by Jason Leung on Unsplash)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Daniel Hautmann
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Milliarden Küken müssen jedes Jahr an ihrem Geburtstag sterben. Denn männliche Nachkommen von Legehennen sind in der hochgezüchteten Geflügelwelt nichts wert: Ihre Rasse ist aufs Eierlegen spezialisiert, Jungs kommen dafür nicht infrage. Auch ihre Mast lohnt nicht, da sie kaum Fleisch ansetzen. Also werden die sogenannten Eintagsküken gleich nach dem Schlüpfen aussortiert und getötet. Die Kadaver werden zu Tiermehl gemahlen von Fischen gefressen oder von Zootieren verspeist.

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Tierschützer kämpfen schon seit Jahren gegen diese Praxis – erfolglos, obwohl sogar das deutsche Tierschutzgesetz sie verbietet. Das Oberverwaltungsgericht in Münster führte 2016 als Begründung an, dass es keine schonenden Alternativen gebe, die wirtschaftlich sind.

Die sogenannte endokrinologische Geschlechtsbestimmung soll das ändern. Im November 2018 wurde die "Respeggt-Methode" präsentiert. Dabei werden die Embryonen noch vor dem Schlüpfen nach Geschlecht sortiert. Mädels werden ausgebrütet und landen später im Stall als Legehennen. Eier mit männlichen Embryonen werden zu proteinhaltigem Tierfutter verarbeitet.

"Die In-Ovo-Geschlechtserkennung ist schon ab dem achten Tag nach Brutbeginn möglich", sagt Ludger Breloh, Seleggt-Geschäftsführer. Das Unternehmen ist ein Joint Venture der Rewe Group und dem niederländischen Brütereiausrüster HatchTech. An der Erforschung war auch ein Wissenschaftlerteam der Universität Leipzig beteiligt. Lars Schrader vom Friedrich-Loeffler-Institut für Tierschutz und Tierhaltung in Celle (FLI) hält die Methode für sinnvoll und vertretbar, denn "am achten Bruttag hat der Embryo noch kein Schmerzempfinden".

Bei dem Verfahren wird das geschlechtsspezifische Hormon Östronsulfat im Harn der Embryonen analysiert. Die Entwickler preisen die Methode als berührungslos an, doch das stimmt nicht ganz. "Wir brennen mit einem Laser ein 0,3 Millimeter kleines Loch in das Ei", sagt Seleggt-Geschäftsführer Breloh. Anschließend drückt ein auf das Ei ausgeübter Luftimpuls die Allantoisflüssigkeit heraus. Diese lässt sich auf das Geschlechtshormon hin untersuchen. "Die Analyse dauert nur noch eine Sekunde", sagt Breloh.

Nach der Probenahme muss ihm zufolge die Eischale nicht wieder verschlossen werden, da sich die innere Eimembran von selbst wieder zusammenzieht. Die Genauigkeit liege bei rund 98 Prozent, die lückenlose Rückverfolgbarkeit des Prozesses stellt eine Blockchain sicher.

Bislang wird die Seleggt-Methode in einer Testbrüterei, die zur Rewe Group gehört, erprobt. Die ausgebrüteten Legehennen ziehen später nach Mecklenburg-Vorpommern in einen spezialisierten Legebetrieb mit 20000 Tieren um. Verkauft werden sie derzeit ausschließlich in Berlin. Doch Brehlo hat ehrgeizige Ziele. Bald schon will er eine komplette Linie aufbauen und die Respeggt-Eier bis Ende 2019 in allen zur Gruppe gehörenden Märkten anbieten. Das sind bundesweit immerhin rund 5500 Filialen von Rewe und Penny. In Legehennen ausgedrückt: rund eine Million.

Ab 2020 will Breloh das Verfahren auch anderen Brütereien anbieten. Schließlich werden allein in Deutschland jährlich rund 45 Millionen Eintagsküken getötet. Global sind es vier Milliarden. "Ein gigantischer Markt", sagt Breloh. Für Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner, deren Ministerium die Entwicklung der Geschlechtsbestimmung im Brut-Ei mit rund fünf Millionen Euro förderte, war die Einführung der Respeggt-Methode im vergangenen November "ein großer Tag für das Tierwohl in Deutschland".

Doch ganz unumstritten ist das Seleggt-Verfahren nicht. Maria-Elisabeth Krautwald-Junghanns, Direktorin der Klinik für Vögel und Reptilien der Universität Leipzig, kritisiert: "Die wissenschaftliche Literatur weist darauf hin, dass Hühnerembryonen bereits ab dem siebten Tag ein Schmerzempfinden haben."

Weltweit arbeiten Forscher deshalb an Lösungen, die noch tierschutzgerechter sind. Krautwald-Junghanns favorisiert das spektroskopische Verfahren, mit dem sich die DNA der Embryonen schon am vierten Bruttag tatsächlich berührungsfrei analysieren lasse.

Auch das niederländische Biotech-Start-up In Ovo, an dem der Essener Chemiekonzern Evonik über seine Venture-Capital-Einheit beteiligt ist, sucht nach biochemischen Signalen für die Geschlechtsbestimmung. "Wir haben in einer Studie neue Marker identifiziert, die zuvor noch niemand gefunden hat", sagt Wouter Bruins, Mitgründer und einer der Geschäftsführer von In Ovo. Auch die Magnetresonanztomografie würde ohne Öffnung des Eis funktionieren.

Wissenschaftler um Axel Haase und Benjamin Schusser von der Technischen Universität München entwickeln die Methode derzeit. "Wir bestimmen sowohl Geschlecht- als auch Befruchtungsstatus kontaktlos und nicht-invasiv bis zum fünften Entwicklungstag", sagt Schusser. "Der Embryo wird nicht in der Entwicklung gestört, und es entsteht keine potenzielle Eintrittspforte für Keime in das Ei." Marktreif und tauglich für den Großeinsatz sind beide Methoden allerdings noch nicht.

Bio-Geflügelzüchter wie Carsten Bauck aus dem niedersächsischen Klein Süstedt sehen aber auch in dieser Variante noch keinen echten Tierschutz. Er würde bedeuten, weder die männlichen Eier noch die Küken töten zu müssen. Der goldene Weg sei daher eine Hühnerrasse, die sowohl viele Eier legt als auch Fleisch ansetzt.

Solche Tiere waren bis in die 1950er-Jahre üblich, bevor die Hochleistungszüchtungen kamen. FLI-Forscher Lars Schrader will die "Dual-Hühner" wieder etablieren. Zwar lieferten sie weniger und kleinere Eier, und ihre Brustfilets seien nicht ganz so pompös, dafür aber seien sie robuster und für bestimmte Gesundheitsprobleme weniger anfällig.

(bsc)