Der Stern klassischer Messen sinkt. Das Informationszeitalter ist schuld

Klartext: Ver-Messen

Dieser Tage hat auchToyota gesagt, man wolle nicht auf der IAA ausstellen. Der Riese aus Japan reiht sich damit ein in eine ganze Reihe Hersteller, denen die Messe nicht mehr so wichtig ist, auch wenn sie gleichzeitig das Gegenteil behaupten

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Von
  • Clemens Gleich
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Toyota will also auch nicht auf der IAA ausstellen, und wir haben erst Februar. Die Hersteller betonen gebetsmühlenartig, dass die traditionelle Messe nicht tot sei, um unmittelbar darauf weiter an ihrem Grab zu schaufeln. Es liegt aber nicht an dir, gute alte IAA, zumindest nicht konkret. Das Modell Messe an sich kämpft im Informationszeitalter um seine Existenzberechtigung.

Wer als Kunde gern auf Messen geht, wundert sich darüber: Er ist doch hier, er interessiert sich, er will die Neuigkeiten mit eigenen Augen sehen, er will sich hineinsetzen, um selber zu beurteilen, wie premium er das Plastik tatsächlich findet, er will sich auf das Motorrad setzen, um zumindest einen allerersten Eindruck der Sitzergonomie zu erhalten. Deshalb sinken auch die Besucherzahlen nicht so stark, wie man es anhand der Nachrichtenlage erwarten würde. Ich stelle daher die These auf: Es liegt nicht am Endkunden-Besucher, sondern an der Multiplikatoren-Rechnung der Hersteller.

Hersteller -> Bote -> Kunde

Für große Hersteller ist es zwar ganz schön, wenn sich ein paar tausend Leute in oder auf ein neues Fahrzeug setzen, aber er will hauptsächlich, dass die Existenz und die Qualitäten seines neuen Produkts möglichst vielen Menschen auf einmal bekannt gemacht werden, und da sind Messebesucher nur ein kleiner Teil. Früher gab die Messe einen guten Anlass, Berichterstattung zu bündeln. Messeschwerpunkte in Fahrzeugheften finden bis heute statt, ihr Ursprung liegt aber in vergangenem Verhalten. Der Interessent wusste: „Jetzt gerade wird Neues diskutiert, ich kann mich informieren.“ Der Hersteller wusste, dass viele Interessenten zuhören. Der Bote in den Medien machte sich diese beiden Umstände zunutze, um aus der Informationsvermittlung ein damals sehr lukratives Geschäft zu machen. Viele Parameter haben sich jedoch geändert.

Der große Nachteil des Informationszeitalters ist der Überfluss an Information. Wir als Primaten sind schlecht ausgerüstet, Information zu ignorieren. Viele meiner Kollegen lesen zwanghaft Nachrichten des Tagesgeschehens, die sie unglücklich zurücklassen und nichts mit dem Tagesgeschäft ihres Fachbereichs zu tun haben. Auf Facebook fechten wir Schlachten gegeneinander, als gäbe es etwas zu gewinnen. Es gibt aber nichts zu gewinnen außer Plätze in sehr verfahrenen Gräben, in denen Weltsichten gemeinsam einsickern, gemeinsinnig gegen „die anderen“ (Weltsichten). Deshalb macht Facebook so unglücklich. „Digital Detox“ wurde zum Begriff, der Verzicht auf Informationen also, auf dass das Hirn heile.

Hier, Ozean, nimm Salz!

Wenn Hersteller also Informationen ausstreuen, stehen sie heute vor dem Problem, dass sie mit dem Salzstreuer am Ozean ankommen. Wer ausreichend Publikum finden will, muss das tun, wenn und wann immer es aufnahmebereit scheint. Verständlich, dass mancher Hersteller denkt, seine Information gehe in einer Messewelle unter. Es gab über die Zeit immer mehr Neuvorstellungen schon vor den Messen, stets kritisiert von Boten aus der Medienwelt, die schnell ahnten, was das für sie bedeutet. Die gesammelten Erfahrungen zeigten offenbar, dass die Messe nicht nötig ist, wenn Millionen deine Botschaft ohne sie schon hören.

Am meisten Bang for the Buck gibt es also darin, wenn die Information direkt zu Multiplikatoren kommt, und zwar zu möglichst großen. Die Presse sieht es nicht gern, dass die Hersteller immer mehr Influencer und Youtuber einspannen. Aber ich würde es genauso machen. Reichweite hat einen Wert. Die von der Presse beschworene Qualität der Reichweite existiert sicherlich irgendwie, aber eben kaum vorhersehbar, messbar, planbar. Bewährt hat sich jedoch das flächige Ausschütten von Infos, denn wenn die Gießkanne nur groß genug ist, trifft sie auch die Richtigen.

Für den Messefreund sind das schlechte Nachrichten. Wie viel klassische Messen es künftig geben wird, weiß niemand. Wir können aber befürchten, dass sie weniger interessant werden, weil weniger große Neuigkeiten dort stehen. Für Messeunternehmen führt kein Ausweg aus dem Dilemma. Es wird immer von ihnen gefordert, ihre Veranstaltungen sollen „mehr Event-Charakter“ bieten. Die Forderer fordern das, weil ihnen Dinge wie der Web Summit so gut gefallen.