Windows 10 auf dem Raspberry Pi

Ein Entwickler hat es geschafft, Windows 10 on ARM auf dem Raspberry Pi zu starten. Wir haben die ungewöhnliche Kombination ausprobiert.

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Windows 10 auf dem Raspberry Pi
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Jan Mahn
  • Merlin Schumacher
Inhaltsverzeichnis

Windows 10 auf dem Raspi ist ein Traum, der schon lange durch den Schlaf von Raspi- und Windows-Fans geistert. Seit Microsoft Windows 10 on ARM für ARM64-Notebooks veröffentlicht hat, scheint dieser Traum in greifbare Nähe gerückt. Jetzt hat ein Entwickler ein Skript zusammengebaut, das diese ARM-Version auf eine SD-Karte für den Raspi bringt. Der Wunsch nach einem „echten“ Windows auf dem Raspi ist so groß, dass in der Redaktion nach Bekanntwerden dieser Möglichkeit kurz ernsthaft diskutiert wurde, wie man einen Windows-Raspi für kleine Aufgaben produktiv einsetzen könnte.

Wir wollten es genau wissen. Wie praktikabel ist Windows 10 auf dem Raspi? Für den Test nutzten wir den „WOA Deployer for Raspberry Pi 3“ (siehe ct.de/y8ka). Die drei Entwickler dahinter hatten bereits einen Windows-on-ARM-Installer für das Nokia Lumia 950 (XL) gebaut und diesen nun für den Raspi angepasst.

Unsere bisherigen Erfahrungen mit Windows auf ARM-Hardware waren im Bezug auf die Performance enttäuschend [1]. Beim Raspberry Pi war daher eigentlich noch weniger zu erwarten, denn die Broadcom-CPU des Raspis hat schon ein paar Jahre auf dem Buckel und zwischen ihr und den von Microsoft für ARM-Notebooks auserkorenen Highend-Chips von Qualcomm liegen Welten. Die träge Anbindung der SD-Karte tut ihr Übriges. Dennoch breitete sich eine gewisse Euphorie aus.

Wer Windows 10 auf seinem Raspi ausprobieren will, braucht viel Geduld und Muße. Das beginnt schon bei der Erzeugung der SD-Karte für den Raspi am Windows-PC. Zunächst muss man auf einer Webseite ein Batch-Skript herunterladen (siehe ct.de/y8ka), das in einer etwa zwanzigminütigen Prozedur einzelne Dateien von Microsoft-Servern zieht und aus diesen am Ende eine ISO-Datei erzeugt. Wer mit seiner Installation Erfolg haben will, sollte aber nicht die im GitHub-Repository empfohlene aktuelle Windows-10-Version 1809 herunterladen, sondern auf das Insider Build 17134 von 2018 zurückgreifen. In 1809 stecken ein paar Bugs, aufgrund derer die Installation nach der Ersteinrichtung in einer Schleife feststeckt. Eine Information, die wir nur durch Zufall in einer zum Projekt gehörenden Telegram-Gruppe gefunden haben. Gern hätten wir sie vor dem dritten Installationsversuch mit mehreren SD-Karten gehabt. Trotz dieser Rückschläge blieb die freudige Erwartung auf einen historischen Moment.

Aus dem ISO-Abbild kopiert man die Datei install.wim heraus. Nun kommt erstmals der Installer zum Einsatz. Der verlangt die extrahierte install.wim und noch ein Paket mit Treibern, Binaries und einem für den Raspi angepassten EFI. Hat man dem Programm die Dateien übergeben, kann man eine Micro-SD-Karte einlegen. Auf dieser erzeugt der Installer dann die Partitionen für den EFI-Bootloader und die eigentliche Windows-Installation. Man sollte unbedingt einen USB-3-Kartenleser und eine schnelle MicroSD-Karte verwenden, denn mit einem USB-2-Leser dauert das Schreiben circa fünf Stunden. Wir haben es ausprobiert.

Ist der Schreibvorgang abgeschlossen, kann der Raspi, in unserem Fall das schnellste Modell 3B+, mit seiner Arbeit beginnen. Ältere Hardware möchte man nicht einsetzen – wirklich nicht. Der Raspi bootet zunächst in eine EFI-Shell, die man mit exit beendet und einer Art BIOS die Bootreihenfolge so ändert, dass Windows 10 direkt startet.

Volllast bei ruhendem Desktop: Windows überfordert den Raspi völlig.

Anschließend beginnt Windows mit dem zermürbenden ersten Boot. Nach ziemlich genau einer Stunde ist dieser abgeschlossen und Windows fragt nach den Regionseinstellungen.

Von dort, über das Durchklicken der Einrichtungsfragen bis zum Windows-Desktop, vergehen weitere 40 Minuten. „Einen Moment“, dieses Bild brennt sich ein. Bei jeder Änderung der Animation zuckten wir erwartungsvoll. Beim Einrichten des Benutzers kam es zum zähen Kampf zwischen uns und der Tastatur, denn Windows schien das Loslassen von Tasten nicht zu registrieren und fügte daher immer wieder den gleichen Buchstaben ein. Dieses Tastaturproblem bleibt auch nach Abschluss der Installation bestehen. Die Windows-Bildschirmtastatur funktioniert als Ersatz.

Fast wie Hohn wirken Microsofts gut gemeinte Trostmeldungen bei der Windows-Installation auf dem Raspi.

Dann endlich der Durchbruch – ein Windows-Desktop auf einem Raspi! Ein Blick in den Taskmanager verlangte uns eine weitere Minute Wartezeit ab. Dann informierte uns Windows, dass CPU und Datenträger voll ausgelastet seien und der Arbeitsspeicher zu gut 60 Prozent gefüllt sei – beim ruhenden Windows-Desktop ohne geöffnete Anwendungen.

Ein Abruf von heise.de in der für ARM-kompilierten Version von Edge schlägt mit etwa anderthalb Minuten zu Buche. Das geht aber noch langsamer und zwar dann, wenn der x86-Emulator ran muss: Mit der x86-Fassung von Chrome dauert der Abruf der Seite vom Drücken der Eingabetaste bis zum Abschluss des Ladens etwa zwölf Minuten. Scrollen war im Edge erträglich, im Chrome unmöglich.

Man muss schon eine äußerst masochistische Natur sein, um das Experiment zu wagen. Wer Windows 10 auf günstiger Hardware einsetzen will, sollte auf Gebrauchtgeräte zurückgreifen und falls nötig noch eine SSD nachrüsten oder einen neuen Mini-PC kaufen. Die Erkenntnis ist eigentlich nicht neu: Der Raspi ist (auch unter Linux) für vollwertige Desktop-Betriebssysteme nicht die beste Wahl [2].

Falls Sie sich dennoch einen Abend nehmen wollen, um Windows auf dem Raspi zu sehen, haben wir einen besonderen Service für Sie: Wir stellen eine ungekürzte zweistündige Videoaufzeichnung der Installation über ct.de/y8ka bereit. Da kann man bei langweiligen Passagen vorspulen.

Windows 10 auf dem Raspi heißt: Warten, warten, warten. In unserem zweistündigen Video können Sie der Installation beiwohnen.

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Literatur

[1] Florian Müssig, ARM drin, Hybrid-Geräte mit Windows 10 und ARM-Prozessor, c’t 20/2018, S. 104

[2] Pina Merkert, Reise ins Himbeerland, Raspberry Pi 3B+ statt Desktop-PC, c’t 19/2018, S. 80 (mls)