Stephen Hawking: Liebling des Boulevards

Vor einem Jahr verstarb der renommierte britische Physiker. Ein Nachruf und eine Rückschau.

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Stephen Hawking: Liebling des Boulevards

(Bild: "Professor Hawking in Cambridge" / Doug Wheller / Wikipedia / cc-by-2.0)

Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Alexander Stirn

Er war – das muss man als Physiker erst einmal schaffen – der Liebling des Boulevards. Die Zeitungen mit den großen Buchstaben verehrten ihn. Sie priesen ihn als "vielleicht klügsten Menschen auf dem Planeten", als "Kult-Physiker", als "Jahrhundert-Genie", als "Popstar der Wissenschaft".

Und Stephen Hawking, dem Gepriesenen, schien dieser boulevardeske Ruhm durchaus zu gefallen – auch das muss man als Physiker erst einmal schaffen. Er spielte mit den Medien. Er nutzte sie, um mit gewitzten Auftritten und provokanten Thesen Werbung zu machen für sich, seine Bücher, vor allem aber für die Kosmologie.

Ob der Ausnahmephysiker Hawking dabei wirklich der Größte, der Genialste war, ob er in der gleichen Liga spielte wie Newton und Einstein, ist und bleibt Gegenstand akademischer Diskussionen. Fakt ist: Der Nobelpreis, die Krone der Wissenschaft, blieb dem Theoretiker, der seine Forschungsarbeiten der Kosmologie, der Gravitation und der Entstehung des Weltalls gewidmet hatte, zeitlebens verwehrt.

Er erhielt ihn nicht einmal für die nach ihm benannte Hawking-Strahlung, die revolutionäre, allerdings nur durch Formeln belegte Vorhersage, dass selbst Schwerkraftmonster wie Schwarze Löcher Wärmestrahlung und Lichtteilchen ausspucken können.

Den Massen war es egal. Einen Großteil des Mythos Hawking machte – so brutal es klingen mag – ohnehin etwas anderes aus: seine Krankheit. Hawking war 21 Jahre alt, als Ärzte bei ihm die unheilbare Nervenkrankheit ALS diagnostizierten und einen frühen Tod voraussagten. Mehr als 50 Jahre lang trotzte Hawking dieser Prognose; zuletzt konnte er allerdings nur noch seinen Wangenmuskel bewegen und dadurch einen Sprachcomputer steuern. Außerhalb der Fachwelt hatte der Physiker somit sein Etikett weg: Hawking war das Genie im Rollstuhl, das eigentlich schon lange nicht mehr leben sollte. Er war der brillante Geist, gefangen in einem schwächelnden Körper.

Hawking hat bei alldem mitgespielt, mit einem gesunden Selbstbewusstsein und seinem ganz eigenen Humor. "Das Universum erlaubt keine Fehlerfreiheit", war einer dieser Sätze. Oder: "Ich bin der Archetyp eines behinderten Genies." Oder: "Ich habe keine Angst vor dem Tod, ich bin aber auch nicht in Eile."

Und er nutzte geschickt die Aufmerksamkeit, die das Bild eines vermeintlich hilflosen Genies mit sich brachte, um sich zu inszenieren und seine Bücher an den Mann oder die Frau zu bringen: Mehr als 15 Millionen Mal wurde Hawkings erstes populärwissenschaftliches Werk, die 1988 erschienene "Kurze Geschichte der Zeit", verkauft. Kosmologie war auf einmal cool, auch wenn Hawkings Thesen alles andere als eingängig klangen. Kritiker spotten daher auch: Auf der Rangliste der Bücher, die ungelesen im Regal verstaubten, liege die "Kurze Geschichte" auf Rang zwei – direkt hinter der Bibel.

Hawking war es egal. Der Physiker wusste um seine Popularität. Und er wusste, wie er damit Schlagzeilen generieren konnte – zuletzt vermehrt auch fernab der Astrophysik: Hawking warnte vor Aliens und vor künstlicher Intelligenz, er philosophierte über Zeitreisen, er riet der Menschheit eindringlich, andere Sonnensysteme zu besiedeln.

Am 14. März 2018 ist der Mann, der die Kosmologie massentauglich machte, im Alter von 76 Jahren gestorben. Die Physik hat vielleicht nicht ihren genialsten Kopf aller Zeiten verloren, aber sicherlich einen ihrer wichtigsten Botschafter und Kommunikatoren.

(bsc)