Das balinesische Anti-Feuerwerk

Sind wir noch souverän oder schon netzsüchtig? Was bei uns oft verzweifelt herbeigewünscht wird, wird in Indonesien durch religiöse Tradition und sozialen Druck zum stillen Gemeinschaftserlebnis.

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Von
  • Peter Glaser

Von 7. auf 8. März feiern die Bewohner der indonesischen Insel Bali Hari Raya Nyepi, das hinduistische Neujahrsfest. Es beginnt mit einem kollektiven Exorzismus, denn zu Frühlingsbeginn schickt der Fürst der Hölle seine sämtlichen Dämonen nach Bali. Um sie wieder zu vertreiben und ein gereinigtes neues Jahr zu beginnen, laufen die Leute wild bemalt mit Pappmache-Plastiken der Höllenbrut ("Ogoh Ogoh") durch die Straßen und machen Lärm.

Am nächsten Tag um 6.00 Uhr früh beginnt Nyepi, der "Tag der Stille". Man kann genau genommen nicht sagen, dass die Balinesen Neujahr feiern, denn für den seit 1983 nationalen Feiertag (sic!) gelten strenge religiöse Vorschriften, auch für Touristen. Verboten sind alle Arten von Vergnügungen, Arbeit, das Entzünden von Feuer oder Licht, sowie "Reisen"; womit in diesem Fall bereits ein Spaziergang gemeint sein kann. Die Straßen leeren sich, Stille liegt über Städten und Dörfern, die Menschen halten inne. Religionspolizisten patrouillieren, um die Einhaltung der Gebote zu kontrollieren.

2018 wurde an Nyepi erstmals das mobile Internet für 24 Stunden abgeschaltet. Das wird auch 2019 wieder geschehen, wie das indonesische Kommunikationsministerium mitteilte. Dazu wird auch der Flugbetrieb 24 Stunden lang eingestellt. Auf den Straßen werden nur noch Rettungsautos und Einsatzfahrzeuge zu sehen, am Strand gestreamte Musik aus Smartphones erstmal verklungen sein. Die öffentlich angeordnete Technikabstinenz gehört zu einem weltweit breiten Spektrum an Versuchen, sich, je nach Ansicht, dem permanenten Klammergriff respektibe der ununterbrochenen Verführungen durch die Komforts, Konsumoptionen und weiteren Sirenengesänge der Onlinewelten einen ganzen Tag lang zu entziehen.

24 Stunden! Am 4. August 1922, dem Tag der Beerdigung von Alexander Graham Bell, dem wir das Telefon verdanken, wurde ihm zu Ehren der gesamte Telefonbetrieb in den USA eine Minute lang unterbrochen. Eine Minute! Früher kam der Briefträger einmal pro Tag und abends öffnete sich mit der Tagesschau das Fenster zur Welt. Inzwischen ist es ein bißchen wie im Krieg, jederzeit kann einen eine E-Mail, eine Nachricht, eine berufliche Anforderung erwischen. Immer wieder wird diskutiert und herumexpermentiert, wie man angesichts der teuflisch reizvollen Datenflut seine Souveränität etwa als Angestellter oder als schlichtes Individuum bewahren könne.

Der Chiphersteller Intel hat schon vor Jahren einen Zero E-Mail Friday eingeführt, ebenso die Stadtverwaltung im britischen Liverpool – "Come Together" heißt einer der Evergreens der Beatles, deren Karriere in Liverpool ihren Anfang nahm. An einem solchen Tag sollen Mitarbeiter nur telefonieren oder persönlich miteinander sprechen. Das Online-Wirtschaftsmagazin mit dem passenden Namen FastCompany präsentiert den Erfahrungsbericht des CEOs der US-Personalvermittlung LaSalle Network, das immerhin einmal pro Quartal auf Mail-Kommunikation verzichtet und stattdessen CBE praktiziert – Call Before E-Mail. Um nur einige wenige Beispiele zu nennen.

Können wir nun also von den Menschen auf Bali lernen, unsere Work-Life-Balance, die im Fahrtwind der digitalen Permanenz zu zerflattern droht, wieder auszubalancieren und nicht nur Ruhetage, sondern ganze Ruhetage wiederzufinden, während es noch ganz danach aussieht, als würden sogar zivilisatorische Errungenschaften wie das Wochenende dem entgrenzten Internet-Immer nicht mehr lange standhalten? Ich fürchte, nicht. Und das nicht einmal so sehr, weil die Vorstellung der Verhaltenssteuerung durch eine Religionspolizei abstoßend ist, sondern weil der Mensch gern trickst.

Besonders gern trickst er Regeln aus, am allergernsten moralische. Sogar das Verbot zu arbeiten, das einem als eine Entspannung angenehm entgegenzukommen scheint, löst dann doch wieder nur kreatibe Tätigkeit aus: Wie kann ich vielleicht doch noch Feuer anzünden, obwohl es verboten ist? Die Vorschrift, die Finger von Feuer und Licht zu lassen, erinnern an das ebenfalls recht strenge Regularium, das für den jüdischen Sabbat gilt. Da auch an Sabbat das Einschalten einer Lichtquelle mit Feuermachen gleichgesetzt wird und tabu ist, stellte es beispielsweise ein Problem dar, den Kühlschrank zu öffnen, da dann die Innenbeleuchtung anging.

Also hat man vor Sabbat-Beginn das Glühbirnchen herausgeschraubt. Moderne, elektronisch gesteuerte Kühlschränke konnte man so aber nicht mehr hinters Licht führen, was in den USA Haushaltsgeräteherstellern zu Ohren kam, seither gibt es Kühlschränke mit einem Sabbat-Modus. Er gaukelt dem Gerät vor, eine alte Version zu sein, bei der sich das Birnchen noch rausschrauben läßt. Auch bei den Amisch, die, ebenfalls religiös begründet, noch mit Pferdekutschen fahren und Elektrizität verweigern, sagen sich manche: Reicht doch, wenn ich zu Hause keinen Strom habe. Für leicht Verderbliches mieten sie sich dann ein Kühlfach bei ihrem Kaufmann.

(bsc)