ICANN-Tagung: Eine Menge unpopulärer Vorschläge

Mit dem Streit um den notwendigen Einfluß von Usern auf Entscheidungen begann gestern die Tagung der für Namen, Nummern und Protokolle im Internet zuständigen Organisation in Melbourne.

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Von
  • Monika Ermert

Mit dem Streit um den notwendigen Einfluß von Usern auf Entscheidungen der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) begann gestern die Tagung der für Namen, Nummern und Protokolle im Internet zuständigen Organisation in Melbourne. Parallel dazu tagten bereits ICANNs Regierungsbeirat (Government Advisory Committee, GAC) und die Manager der ccTLDs, die immer noch auf Verträge mit ICANN warten. Die Hauptsitzungen des fünftägigen Treffens werden ab Sonntag per Live-Video-Stream im Netz übertragen.

Nur in einer idealen Welt gebe es breite, basisdemokratische Entscheidungsprozesse, warnte ICANNs Politik-Stratege Andrew McLaughlin. Bei dem von den Initiatoren der NGO and Academic ICANN Study (NAIS) organisierten Diskussionen zu einer geplanten Studie zu Wahlen und Einflußmöglichkeiten der Mitglieder lieferte sich McLaughlin einen Schlagabtausch mit dem für Nordamerika gewählten Vorstandsmitglied Karl Auerbach.

Heftige Diskussionen werden vor allem zum Entwurf neuer Verträge zwischen ICANN und VeriSign/NSI, der damit vorgeschlagenen Umwidmung der .org-TLD in einen nicht-kommerziellen Adressbereich und dem Rollout nicht-englisch-sprachiger Domains durch den Exmonopolisten erwartet. Ebenfalls noch einmal diskutiert werden die Musterverträge mit den neuen Top Level Domains, die bereits lange unter Dach und Fach sein sollten.

Gerade die Vergabe der neuen Top Level Domains habe gezeigt, dass ICANN eher einer Regulierungsinstitution gleiche, die öffentliche Ressourcen verteile, als einem Gremium, das technische Standards setze, sagte der US-Jurist und NAIS-Mitinitiator Don Simon von Common Cause in der Diskussion. Diese Funktion mache eine solide Vertretung öffentlicher Interessen innerhalb der Organisation unabdingbar, so der Jurist. Niemals, warnte der Leipziger Völkerrechtler Wolfgang Kleinwächter, würden die Regierungen ICANN als reinen Industrieinteressenverband akzeptieren. Der Chef des beratenden Regierungsbeirates (GAC) der ICANN und auch der europäische GAC-Vertreter hätten bereits angedroht, dass die Regierungen sich zum Eingreifen gezwungen sähen, wenn ICANN nicht an seinem repräsentativen Modell festhalten würde, erinnerte Kleinwächter. Gegenüber dem US-Kongress hat sich ICANNs Ex-Vorsitzende Esther Dyson auch zum At Large Konzept bekannt.

Wieviel Einfluß die User bekommen, darüber wird nun bei den Empfehlungen gerungen, die das von ICANN eingesetzte Studienkommittee um Carl Bildt bis November formulieren soll. Noch fehlen Forschern wie der NAIS-Gruppe die Zahlen, die ICANN bislang mit Hinblick auf den Datenschutz nicht herausgegeben hatte. NAIS hat jetzt Bildt um die Server Logfiles, Registrier- und Wahlaufzeichnungen, die technischen und finanziellen Daten der Wahlabwicklung und sogar den Schriftverkehr der ICANN-Hauptamtlichen zum Thema gebeten. Bildt, der selbst noch nicht einmal nach Melbourne anreiste, hat diese Bitte jetzt erst einmal an ICANN weitergeleitet, ließ er wissen. Vorerst heißt es also warten. Entschieden ist dagegen für die NAIS-Forscher, dass es ihnen um eine Analyse von Schwächen des Wahlverfahrens und der Konstituierung der Mitgliedschaft und nicht um eine Einschränkung der Mitsprachemöglichkeiten geht.

McLaughlin warnte jedoch gestern gemäß der neuen ICANN-Linie erneut vor möglichen Manipulationen der weltweiten Wahlen und NAIS-Mitglied Myungkoo Kang von der Seoul National University räumte denn auch ein: "Ich bin pessimistisch und denke, dass wir nationalistische Kampagnen bei den Wahlen nicht verhindern können". In Asien fühlten sich die Menschen eben in erster Linie als Chinesen, Japaner, Koreaner und nicht als Asiaten, das sei eher ein Konzept aus dem Lehrbuch, so Kang. Dennoch machten die Wahlen Sinn, auch weil sie vielen in autokratisch beherrschten Ländern lebenden Asiaten eine Vorstellung von demokratischen Prozessen gäben.

Auch in Europa wählten die ICANN-Mitglieder im wesentlichen national. Ob weltweite Wahlen für die vier restlichen At Large-Direktorensitze oder indirekte Wahl der At large Sitze über ein Parlament die Lösung bringen, darüber darf jetzt mit offiziellem ICANN-Auftrag gestritten werden. "At large-Mitglieder können sich auch in der DNSO engagieren", warb dagegen McLaughlin. Die Domain Name Supporting Organization gilt jedoch inzwischen durch die vielen darin vertretenen Einzelinteressen als neutralisiert. Entscheidungen werden vom Vorstand und zum Leidwesen der At large-Direktoren immer häufiger auch vom ICANN-Exekutivkomittee gefällt.

Noch völlig offen ist auch, wie der Vorstand auf die Vorschläge für neue Verträge zwischen VeriSign/NSI und ICANN reagieren wird. Die Verträge sollen VeriSign – anders als bisher vorgesehen – erlauben, die .com-Domain als Registry auf unbestimmte Zeit zu behalten und dennoch gleichzeitig als Registrar tätig zu sein. "Ich weigere mich einfach zu glauben, dass der Vorstand bereit ist, diesen Teil des Vertrages aufzugeben", schrieb Joker.com-Registrar und CORE-Mitglied Siegfried Langenbach in einem offenen Brief Vint Cerf und seine Vorstandskollegen. Das Argument dafür sei erstaunlich: nachdem man endlich sehe, dass das Ziel, den Monopolisten zu schwächen, erreicht sei, mache ICANN mit diesem Vorschlag den ganzen Prozess kaputt. VeriSigns einziges Zugeständnis, die Aufgabe der Registry von .org, hat gleichzeitig für einen wahren Aufstand unter .org-Inhabern geführt. Gemeinsam mit ICANN schlägt Verisign nämlich vor, .org wieder zu einer Adresse für nicht-kommerzielle Organisationen zu machen. In einer Flut von Mails an das Public Forum zu dem Thema machten Nutzer ihrem Unmut Luft. .org sei immer eine Auffang-Domain gewesen für alles, was nicht unter .com und .net gepasst habe, heißt es da und eine nachträgliche Umwidmung, nachdem man so lange für Registrierung unter .org geworben habe, sei ein Witz.

Mitglieder vom ICANN-Vorstand und Büro haben inzwischen bekundet, dass es sich erst einmal nur um einen Vorschlag handele und .org-Inhaber – wenigstens vorläufig – keineswegs einen Entzug ihrer Domains zu befürchten haben. In Melbourne werde gar nichts entschieden, ließ der scheidende CEO der ICANN, Mike Roberts, Kritiker wissen. Doch gerade bei der VeriSign-Entscheidung ist das eigentlich beunruhigend. Denn die Entscheidung muß vor dem 1. April gefällt werden, weil dann die Frist für VeriSign ausläuft, sich von einem Unternehmensteil – Registry oder Registrar – zu trennen. Wenn die Entscheidung also nicht in Melbourne fällt, dann wird darüber in einer der Telefonkonferenzen des Vorstandes entschieden. Für VeriSign war eine Veröffentlichung der Verträge zur Melbourne-Tagung sicher auch vorteilhafter als zur Jahrestagung im November in Los Angeles. Dort hätte man deutlich mehr Kritiker im Public Meeting am Sonntag am Sonntag erwarten können. (Monika Ermert) / (wst)