Copyright-Reform: Zehntausende demonstrieren in Berlin gegen Upload-Filter

Ein kilometerlanger Zug erstreckte sich am Samstag durch die Hauptstadt, dessen Teilnehmer sich für das freie Internet als "Zufluchtsort" stark machten.

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Copyright-Reform: Zehntausende demonstrieren in Berlin gegen Upload-Filter

(Bild: Stefan Krempl)

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Berlins Zentrum war am Samstag in Mitte und Kreuzberg teilweise lahmgelegt. Bei frühlingshaftem Wetter zog es am Nachmittag mehrere zehntausend Bürger auf die Straßen zwischen Potsdamer Platz, der SPD-Zentrale im Willy-Brandt-Haus und Brandenburger Tor, um ihren Unmut gegen die geplante EU-Urheberrechtsreform mit selbstgemalten Schildern und lauten Rufen zum Ausdruck zu bringen. Die Veranstalter mussten spontan in Absprache mit der Polizei die Demoroute ändern, da die zunächst ausgewählten Wege den Ordnungshütern angesichts der großen Menschenansammlung als zu schmal erschienen.

Bei dem bunten, kilometerlangen Umzug skandierten die Teilnehmer immer wieder den Hashtag "NieMehrCDU" sowie die Parole: "Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Freiheit klaut." Viele Plakate richteten sich gegen den Berichterstatter im EU-Parlament, Axel Voss (CDU), der die umkämpfte Übereinkunft für die Richtlinie federführend für die Abgeordneten mit Vertretern des Ministerrats und der EU-Kommission Mitte Februar ausgehandelt hatte. Am Dienstag werden die Volksvertreter im Plenum über den Entwurf abstimmen und damit auch über die Einführung von Upload-Filtern und ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger im Internet.

Beobachter schätzten die Zahl der Demonstranten bereits während der ersten Stunde auf über 20.000 und beim Abschluss auf der Straße des 17. Juni sogar auf 50.000. Die schon am Anfang erschienene Menge überraschte auch die Polizei. Offizielle Teilnehmerzahlen gibt es aktuell nicht. Daniel Caspary, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im EU-Parlament, äußerte gegenüber der Bild-Zeitung den Verdacht, dass US-Netzkonzerne "auch mit gekauften Demonstranten die Verabschiedung des Urheberrechts zu verhindern" suchten.

"Wir sind kurz davor, die Reform zu kippen", rief Markus Reuter vom Verein Digitale Gesellschaft bei der Auftaktkundgebung den Massen von einem Transporter mit einer Lautsprecheranlage zu, die viel zu klein geraten und von den weiter hinten Stehenden nicht mehr zu hören war. Unter anderem mit "Hashtags und Musik" habe die sich neu zusammengefundene Bewegung für eine freies Netz schon viel erreicht. Die Gegenseite müsse schon "in die Mottenkiste der Verschwörungstheorien" greifen bei dem Versuch, die Argumente der Aktivisten noch irgendwie zu diskreditieren.

Selbst wenn das Votum nächste Woche verloren gehen sollte, habe die Community trotzdem schon jetzt gezeigt, "dass wir etwas bewegen können", unterstrich Reuter. "Wir können Nein sagen – und das wird auch gehört." Es sei klar geworden, dass Politik nicht in Stein gemeißelt sei.

Eine etwas nervöse Schülerin betonte: "Das Internet ist mein Zufluchtsort." Nirgends sonst habe sie so viele coole Leute kennengelernt, da dort jeder Gleichgesinnte finde. Nun wolle die Politik aber dafür sorgen, "dass wir unseren eigenen Content nicht mehr hochladen können". Wenn die Richtlinie durchkomme, werde sich dies spätestens bei den Europawahlen im Mai rächen, denn "wir sind keine Bots, wir sind Menschen". Ihr gehe es auch nicht um Werbung und Klicks auf YouTube & Co., sondern um Meinungsfreiheit.

Der inzwischen mit der Nummer 17 versehene Artikel 13, der ein verschärftes Haftungsregime für Plattformen mit nutzergenerierten Inhalten einführen soll, "bedroht die Jobs vieler meiner Kollegen", beklagte Melchior Bläse vom Bundesverband Community Management (BCVM). Er selbst habe ein Forum für Auszubildende gegründet, in dem diese etwa über Gleichberechtigung diskutierten. Doch wenn er nun dafür die Verantwortung übernehmen müsste, was die Leute darüber austauschen, könne er die Seite dichtmachen. Für die großen Mitglieder des Verbands wie YouTube sei es sicher noch möglich, sich mit Filtern aus der Bredouille zu ziehen. Er könne ein solches Kontrollsystem aber nicht aufziehen.

Zu der Demo in der Hauptstadt hatte das zivilgesellschaftliche Bündnis Berlin gegen 13 geladen, hinter dem Campact, der Chaos Computer Club (CCC), die Digitale Gesellschaft, die Initiative Digitale Freiheit, der Journalistenverband Freischreiber, der Frauen-Hackspace Heart of Code und die europäische Kampagne Save The Internet stehen. Parallel waren für den Samstag europaweite Proteste mit rund 100 Veranstaltungen gegen die Urheberrechtsreform geplant, zu denen insgesamt weit über 100.000 Mitstreiter erwartet wurden. Zur Teilnahme und zum Unterzeichnen einer Petition zur "Rettung des Internets" hatte am Freitag auch der NSA-Whistleblower Edward Snowden aufgerufen.

Demonstration gegen EU-Copyrightreform, Berlin 23.3.2019 (30 Bilder)

(Bild: Stefan Krempl)

Zuvor hatten sich am Samstagvormittag Schauspieler und Sänger wie Ex-Tatort-Kommissar Boris Aljinovic oder Brigitte Zeh bei einem Brunch in der Berliner Akademie der Künste auf Einladung der Initiative Urheberrecht hinter den Appell "Ja zur Urheberrechtsrichtlinie" von Vertretern der Kreativwirtschaft gestellt. Ihrer Ansicht nach verbessert der Entwurf die Bedingungen für Künstler und Medienschaffende und die Kulturwirtschaft in ganz Europa erheblich, indem er "große kommerzielle Plattformen, die ihre Werke nutzen, stärker in die Verantwortung für eine faire Vergütung nimmt".

Die von Voss am Donnerstag noch erwartete Mehrheit im EU-Parlament für die Richtlinie bröckelt derweil. So hat die liberal-konservative polnische Bürgerplattform Platforma Obywatelska als zweitgrößte Gruppe nach der CDU/CSU innerhalb der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) angekündigt, gegen die Novelle zu stimmen, wenn Artikel 13 nicht gestrichen wird. Auf dem Portal Pledge 2019 haben bisher 126 von 754 EU-Parlamentariern zugesichert, die Reform abzulehnen. (tiw)