5G kommt, bevor alle Risiken ausgeräumt sind

Vor dem 5G-Netzausbau wachsen Ängste vor einer Gesundheitsgefährdung durch Mobilfunkwellen. Es fehle an Forschung, sagen Wissenschaftler. 180 Ärzte fordern ein Moratorium.

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Mobiles Netz 5G

(Bild: dpa, Clara Margais)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Michael Link
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Redet man über Funkwellenbelastung, kommt man schnell in trübe Gewässer. Auch bei herkömmlicher Mobilfunktechnik sind die Bedenken nie ganz verstummt. Und bald kommt 5G, mit neuen Frequenzbereichen, mehr Sendern, mehr Antennen. Daher flammt die Diskussion um mögliche gesundheitliche Folgen des Mobilfunks wieder auf. Und das, obwohl es schon Tausende Studien über biologische Wirkungen elektromagnetischer Felder gibt. Man weiß vieles, aber nicht genug, warnen Kritiker. Dabei melden durchaus Stellen Forschungsbedarf, die keinen Ruf als Aluhut-Träger haben.

Die bestehenden Grenzwerte für die Sendeleistung von Sendetürmen und Smartphones orientieren sich an der nachgewiesenen Heizwirkung von Funkwellen. Die nutzt man beispielsweise im Mikrowellenherd; eine Abschirmung sorgt dafür, dass seine Funkwellen nicht nach draußen dringen.

Doch nun finden sich in Studien hier und da Hinweise auf athermische Effekte. Einige sollen bereits unterhalb der gesetzlichen Grenzwerte auftreten und beispielsweise für Gendefekte verantwortlich sein, für Krebs und Konzentrationsmängel. Bislang war die Existenz solcher Effekte höchst umstritten.

Aufgeschreckt von Studien forderten 180 Ärzte aus 36 Ländern im September 2018 in einem offenen Brief ein 5G-Moratorium, also einen Stopp, bis die gesundheitlichen Effekte abgeklärt sind. Den wiederum hält EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis für zu drastisch: „Bei 5G gibt es keinen Unterschied zu 3G und 4G. Es sind dieselben elektromagnetischen Strahlungen, und zu denen gibt bereits umfassende Studien.“ Er habe Wissenschaftler befragt und die haben gesagt, dass 5G keine Gesundheitsgefahr berge, solange die geltenden Grenzwerte eingehalten werden. Es könnte sein, dass Andriukaitis seine Meinung ändern muss.

Gesammelt werden Studien zum Thema unter anderem vom EMF-Portal des Forschungszentrums für Elektro-Magnetische Umweltverträglichkeit (femu), einer interdisziplinären Einrichtung der Uni-Klinik Aachen.

Die Projektleiterin Dr. Sarah Drießen hat den Überblick über mehr als 27.100 Veröffentlichungen zum Thema. Sie bemängelt, dass das Interesse der Politik an der Forschung in diesem Gebiet nach Abschluss des großen Mobilfunk-Forschungsprogramms des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) im Jahr 2008 erlahmte. In der ZEIT mahnt sie: „So funktioniert Forschung nicht!“ Und c’t gegenüber präzisiert sie: „Forschung bedeutet, dass ein Thema systematisch untersucht wird und offene Fragen weiter untersucht werden müssen.“

Und die gibt es immer. Obwohl der Abschlussbericht des BfS-Programms unter „4.3 Offene Fragen“ lapidar formuliert, dass es keine gebe, die über bereits gelaufene Studien hinausgingen, finden sich im Text einige Absätze davor dennoch Hinweise, dass das BfS weitere Forschung sehr wohl für nötig erachtete, etwa zur Blut-Hirn-Schranke sowie zu gentoxischen Effekten. Elf Jahre später gibt es immerhin Nachschlag für öffentlich geförderte Studien: Der Bund unterstützt Forschungsaktivitäten mit Schwerpunkt auf Frequenzen oberhalb 20 Gigahertz.

Dr. Drießen weist auf den systemischen Webfehler hin: Sie findet, dass in Deutschland die Rahmenbedingungen schlecht sind für eine systematische Erforschung biologischer Wirkungen. Nötig seien öffentlich finanzierte Lehrstühle und Forschungseinrichtungen. Drießen: „Ein Institut, das sich von einem Drittmittelprojekt zum nächsten hangeln muss, kann nur schlecht nachhaltiges Wissen aufbauen.“

Das sei wichtig, schon allein, um der Flut unwissenschaftlich gemachter Pseudostudien begegnen zu können. Sie führt einige Beispiele an, etwa eine Studie, in der eine Handvoll Ratten in einem Käfig durch ein Smartphone „bestrahlt“ wurde –, ohne Berücksichtigung zahlreicher Störfaktoren. Das Ergebnis war zwangsläufig unbrauchbar. Solche Studien müllen die Datenbanken zu und dienen Kritikern als (trübes) Wasser auf ihre Mühlen.

Trotz wenig plausiblen Wirkprinzipien und unüberprüfbarer Wirkung verkaufen sich seltsame Mittel gegen Mobilfunk-„Strahlung“.

Etliche Studien über Funkwellen behandeln die athermischen Wirkmechanismen „oxidativer Stress“ sowie erbgutschädigende „freie Radikale“. Solche Effekt, auch von herkömmlichen Schadstoffen bekannt, konstatieren auch die Rapporteure der zehnjährigen Großstudie an Großnagern im National Toxicology Program (NTP) der US-Gesundheitsbehörde FDA.

Danach traten bei einigen männlichen Ratten, die elektromagnetischen Feldern ausgesetzt waren, Krebserkrankungen des Herzens auf. Die Berichterstatter finden: Das ist ein klarer Beleg für das expositionsbedingte Auftreten von Herztumoren. Sie sehen darüber hinaus einen Zusammenhang zwischen der Funkwellenexposition und dem Auftreten von Hirntumoren sowie Erkrankungen des Nebennierenmarks.

Diese Langzeitstudie ist wissenschaftlich fremdbegutachtet worden und sie wird vielfach zitiert. Das Bundesamt für Strahlenschutz moniert hingegen methodische Schwächen des Programms – etwa die fehlende Temperaturmessung sowie die mit bis zu 15 Watt sehr hohen Feldstärken – und Inkonsistenzen bei den Ergebnissen. Auf c’t-Nachfrage erläuterte eine Sprecherin, dass das BfS daher thermische Mechanismen als Ursache vermutet. Das BfS werde sich aber zur Klärung an einer Wiederholungsstudie mit verbessertem Design beteiligen.

Viele Studien entstanden mit Blick auf den herkömmlichen Mobilfunk, doch werden sie auch als Munition gegen 5G ins Feld geführt. Dabei müsste man, einen systematischen Ansatz folgend, eigentlich fragen: Was ist bei 5G anders als bei GSM, UMTS und LTE?

Eine MIMO-Antenne dürfte nach Antennensimulationen bei maximal zulässiger abgestrahlter Leistung höchstens 6 Elemente haben, wenn der Abstand zum Körper nur 0,5 cm beträgt – wie etwa im Smartphone.

5G benutzt zusätzlich zu den bereits genutzten Frequenzbereichen neue. Einer liegt zwischen 3,4 und 3,7 Gigahertz, andere werden in einigen Jahren oberhalb von 24 Gigahertz angesiedelt. Wegen der kürzeren Reichweite sind für 5G mehr Antennen nötig.

Kritiker befürchten einen allgemeinen Anstieg der Funkwellenbelastung. Aber so viel ändert sich zunächst gar nicht: 5G-Smartphones werden im Bereich 3,4 bis 3,7 Gigahertz mit 200 Milliwatt senden. Doch auch oberhalb von 3,4 Gigahertz belegen seit etlichen Jahren zigtausend WLAN-Router den Bereich um 5 Gigahertz mit Sendeleistungen gleicher Größenordnung – und viele Wetterradare. Frequenzen um 24 Gigahertz werden von 5G-Smartphones noch nicht benutzt, zum Senden schon gar nicht – es gibt kaum Chipsätze dafür und in Deutschland ist dazu sowieso noch wenig geregelt.

Denn: Während man bei niedrigeren Mobilfunkfrequenzen thermische Effekte durch geltende Grenzwerte nach ICNIRP als abgehakt sehen kann, wird die Heizwirkung von Funkwellen ab 10 Gigahertz aufwärts wieder lästig. So hat die Ericsson-Studie „HF-Energieabsorption durch biologische Gewebe in Annäherung an 5G-kabelloses Zubehör im mmW-Bereich“ thermische Effekte bei körpernah getragenen Antennen ausgemacht. Denn Funkwellen sind mit steigender Frequenz immer weniger in der Lage, tief ins Gewebe einzudringen. Die Absorption und damit ihre Heizwirkung konzentriert sich daher auf den oberflächennahen Bereich.

In die gleiche Richtung zielt die Studie „Systematic Derivation of Safety Limits for Time-Varying 5G Radiofrequency Exposure Based on Analytical Models and Thermal Dose“ der unabhängigen Forschungsstiftung IT’IS in der Schweiz. Die an der Studie beteiligten Dosimetrie-Experten Esra Neufeld und Niels Kuster wiesen nach, dass es oberhalb 10 Gigahertz schon bei erlaubten Sendeleistungen auf kurze Distanz zu Gewebeschäden kommen kann.

Problematisch an den gegenwärtigen ICNIRP-Grenzwerten ist, dass die Werte über längere Zeiträume gemittelt werden und durchaus weitaus stärkere Leistungsspitzen der Sender erlauben. Diese entfalten auf engem Raum konzentriert und kurzzeitig eine sehr hohe Heizwirkung, die das Gewebe nicht unbeschadet übersteht.

Eine weitere Schwierigkeit: Gegenwärtige Vorschriften berücksichtigen nicht, dass 5G-Sender durch die Massive-MIMO-Technik ständig ihre Strahlrichtung anpassen (siehe S. 64). Deswegen ist derzeit eine Revision im Gange. Der schon weit gediehene Entwurf des Standards IEC/IEEE 62209-1528 deckt außer herkömmlichen Funktechniken zusätzlich 5G ab und umfasst auch Wearables und IoT-Geräte.

5G wird kommen, obwohl die im Raum stehenden athermischen Effekte im zuerst genutzten Bereich bis 3,7 Gigahertz bisher weder überzeugend belegt noch gänzlich ausgeschlossen wurden – trotz Studien mit Peer-Review-Status. Nötig, aber kurzfristig nicht mehr umsetzbar, wäre systematische Forschung mit Bezug zu Mobilfunkszenarien. Der obere Frequenzbereich um 24 Gigahertz muss sogar gänzlich als Terra incognita gelten, hier spielen sogar thermische Effekte wieder eine Rolle.

Epidemiologische Studien nach Einführung der Technik stoßen an ihre Grenzen, weil es an der Vergleichbarkeit mit Kontrollgruppen fehlt, die nicht dem Mobilfunk ausgesetzt sind.

Studien und Quellen: ct.de/yw5n

(Dieser Artikel stammt aus c't 8/2019) (mil)