EU-Urheberrechtsreform: "Schwarzer Tag für Europa und das freie Internet"

Die Digitalwirtschaft, Bürgerrechtler und Verbraucherschützer beklagen den Beschluss der Urheberrechtsnovelle, die Musikindustrie und Verleger jubeln.

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Das vergleichsweise knappe Ja des EU-Parlaments zu einer neuen Urheberrechtsrichtlinie, die auf Upload-Filter hinausläuft und ein zweijähriges Leistungsschutzrecht für Presseverleger mit sich bringt, enttäuscht nach einem langen und harten Lobbykampf die zahlreichen Gegner der Initiative. "Mit der heutigen Entscheidung verliert die EU ihren Status als Vorreiterin der Meinungsfreiheit", beklagt etwa der Digitalverband Bitkom. Wer im eigenen Land jeden Inhalt vor dem Hochladen ins Internet prüfen und im Zweifelsfall blockieren lasse, der macht sich beim weltweiten Einsatz für Grundrechte einschließlich der Freiheit der Kunst unglaubwürdig.

"Die in scharfem Ton geführten Diskussionen rund um Upload-Filter haben eine gesellschaftliche Spaltung zwischen vornehmlich jüngeren und internetaffinen Menschen und großen Teilen des politischen Establishments offenbart", ist Bitkom-Geschäftsführer Bernhard Rohleder nicht entgangen. Politikverdrossenheit sei aber nicht die Antwort auf den Beschluss. "Diese Risse können sich dann schließen, wenn sich die politisch engagierten jüngeren Menschen aus den sozialen Netzwerken in die politischen Parteien und Institutionen bewegen", glaubt der Industrievertreter. Bis dahin erschwere es die Richtlinie jungen europäischen Unternehmen, "zu großen Plattformen zu wachsen".

"Das Schicksal des freien demokratischen Internets ist besiegelt", befürchtet auch der Chef des eco-Verbands der Internetwirtschaft, Oliver Süme. Die Entscheidung vom Dienstag werde das Netz "fundamental verändern". Es drohe "eine einschneidende Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien, wenn zukünftig Algorithmen von Unternehmen und nicht Gerichte darüber entscheiden, was wir im Internet sehen, hören und lesen dürfen". Eine Google-Sprecher erklärte, dass die Richtlinie trotz Korrekturen nach langjährigen Diskussionen "immer noch zu Rechtsunsicherheit führen und die kreative wie auch die digitale Wirtschaft Europas beeinträchtigen wird".

"Heute ist ein schwarzer Tag für Europa und das freie Internet", moniert Florian Nöll vom Bundesverband deutsche Startups. "Am Ende haben nicht Vernunft, sondern die Partikularinteressen einiger weniger Fortschrittsverweigerer und eine mit Halbwahrheiten und falschen Informationen geführte Kampagne gesiegt", verwies das CDU-Mitglied namentlich auf "die Verlags- und Medienbranche". Abgeordneten verursachten "enormen Schaden" auch für die europäische Digitalwirtschaft. Der Bundesverband IT-Mittelstand (BITMi) sprach von einem "schweren Tag für Europa" und einem "Schlag gegen digitalen Gründergeist".

Das Parlament habe "mehrheitlich gegen die Interessen von Nutzern gestimmt", bedauerte der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv). Damit bedrohten verpflichtende Upload-Filter "auch viele vollkommen legale nutzergenerierte Inhalte", da die Algorithmen "nicht wirkungsvoll zwischen erlaubter und nicht erlaubter Nutzung unterscheiden" könnten. Besonders bitter sei, dass die Abgeordneten keine konkreten und wirksamen Gegenmaßnahmen eingeführt haben, um rechtmäßige Inhalte vor Blockaden zu schützen. Die Bürgerrechtsorganisation European Digital Rights (EDRi) warnte, dass nun "die Zensurmaschine" das Internet in der EU übernähme.

“Statt ein faires und gerechtes Urheberrecht für alle zu verhandeln, das nicht nur die Interessen von Großkonzernen in den Vordergrund stellt, hat das Europäische Parlament die Bedenken von fünf Millionen Bürgern ignoriert", kritisieren die Initiatoren der vielbeachteten Petition zur "Rettung des Internets". Es sei beschämend, dass die Volksvertreter die Bedenken etwa der rund 200.000 Demonstranten vom Wochenende nicht ernst nehme "und noch nicht mal über die einzelnen Artikel abstimmen wollten". Als Reaktion seien für den Dienstagabend Spontandemos in Städten wie Köln, Frankfurt, Leipzig, Dresden oder Hamburg anberaumt worden.

Letztlich fehlten nur sechs Unterstützer im Plenum, um das vorab im Trilog geschnürte Paket noch einmal aufzumachen, wie das von der Piratin Julia Reda mittlerweile veröffentlichte Ergebnis der namentlichen Abstimmung zeigt. Die Übereinkunft trugen demnach vor allem die konservative Europäische Volkspartei (EVP) etwa mit den Abgeordneten von CDU/CSU, die Sozialdemokraten, bei denen vor allem SPD-Vertreter aber für 54-Nein-Stimmen sorgten, sowie die Liberalen mit einem internen Verhältnis von 36 zu 25. Bei den Grünen stimmten nur vier Parlamentarier für die Reform und 39 dagegen, bei den Linken waren 35 dagegen und fünf dafür.

Der Verband Freischreiber hatte bereits im Vorfeld moniert, dass die Reform "journalistischen Urhebern überhaupt nichts nützt". Autoren würden gegenüber Verwertern in eine schlechtere Verhandlungsposition versetzt und müssten ihr Geld von den Verwertungsgesellschaften bald wieder mit den Verlagen teilen. Eine Klausel gegen "Total Buy-out"-Verträge sei zuletzt aus dem Entwurf rausverhandelt worden.

"Die Zustimmung zur Reform ist ein 'ja' zur digitalen Zukunft von Kultur und Medien und zu einer lebendigen und vielfältigen Kreativlandschaft in Europa", konstatieren dagegen die Verlegerverbände VDZ und BDZV. Das EU-weite Leistungsschutzrecht biete den Mitgliedern erstmals die Chance, "mit den großen Tech-Plattformen über die Nutzung ihrer Inhalte zu einem fairen Preis zu verhandeln". Der Börsenverein des deutschen Buchhandels bezeichnete es als entscheidend, dass Verlage "künftig wieder an den Ausschüttungen von Verwertungsgesellschaften wie der VG Wort beteiligt werden können". 2015 hatten der Europäische Gerichtshof und in Folge 2016 der Bundesgerichtshof diese Ansprüche aberkannt.

Der Bundesverband Musikindustrie (BVMI) wertete die Verabschiedung als "großen Schritt für die europäische Kultur- und Kreativwirtschaft". Der europäische Gesetzgeber habe zur Haftung von Plattformen wie YouTube "ein klares Signal in die Welt gesendet". Die Verwertungsgesellschaft GEMA bedankte sich bei allen Abgeordneten, "die sich in den letzten Jahren für die Richtlinie eingesetzt haben". Deren "positiven Elemente und Verbesserungen" müssten aber noch klarer kommuniziert werden. Die Initiative Urheberrecht lobte einen "bahnbrechenden und international beispielhaften Beschluss". Es gehe nun darum, das Internet "gemeinsam zu einem demokratischen Medium" weiterzuentwickeln.

Der Ministerrat muss den Entwurf noch bestätigen. Hoffnungen von Kritikern wie Reda, dass sich die Bundesregierung hier noch aufbäumen könnte, erteilte Bundesjustizministerin Katarina Barley bereits eine Absage. Sie bedaure zwar sehr, dass das Parlament sich "nicht gegen Upload-Filter positioniert hat", sagte die SPD-Politikerin. Jetzt gehe es aber darum, die Richtlinie innerhalb der nächsten zwei Jahre "so umzusetzen, dass Künstler tatsächlich davon profitieren und Meinungsfreiheit und Vielfalt im Netz erhalten bleiben".

Die CDU hat eine Pauschallizenz und -vergütung auf nationaler Ebene ins Spiel gebracht, um Filter doch noch zumindest in Deutschland zu verhindern. Viele Experten halten diesen Alleingang aber für europarechtswidrig. Dieser Ansatz verkenne "die Gesetzmäßigkeiten des digitalisierten Europas", rügt jetzt auch der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW). Für die meisten europaweit agierenden Plattformen dürfte die deutsche Umsetzung "vollkommen irrelevant" sein. (axk)