Manipulierte Kassen in Chinarestaurants: Test-Esser deckten Betrug auf

Mehrere Restaurants sollen mit manipulierten Kassen Millionen an Steuern hinterzogen haben. Nun stehen die Vertreiber der Kassensoftware vor Gericht.

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Probeesser gegen Win-Restaurant

(Bild: wavebreakmedia/shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Dr. Hans-Peter Schüler
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Unternehmer, die dem Finanzamt Einnahmen aus ihrem Ladengeschäft oder Restaurant mit Hilfe manipulierter Kassendaten verschleiern, sind nach Schätzungen von Steuerbehörden verantwortlich für milliardenschwere Steuereinbußen. In einem aktuellen Fall sollen acht Gewerbetreibende mit Hilfe der Kassensoftware Win-Restaurant ihre Einnahmen manipuliert und Vater Staat um rund sechs Millionen Euro an Umsatz-, Gewerbe- und Einkommensteuer geprellt haben.

Wie die Nordwest-Zeitung berichtet, begann am Dienstag ein Strafprozess vor der 2. Großen Strafkammer am Landgericht Oldenburg. Zwei aus Hongkong stammende Brüder sind wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung angeklagt. Sie haben in Gelsenkirchen gemeinsam eine Firma betrieben, in der sie seit 2012 die Kassensoftware "Win-Restaurant" entwickelt und vornehmlich an Betreiber von Chinarestaurants vertrieben haben. Insgesamt sollen sie 2600 ihrer Kassensysteme nach Deutschland und ins Ausland verkauft haben.

Laut Anklage können Benutzer dieser Software per Code-Eingabe oder USB-Stick Optionen aktivieren, um einzelne Datensätze aus dem Journal der Rechnungsdaten verbotenerweise zu löschen. In den regulär auslesbaren Umsatzangaben findet sich demnach keinerlei Hinweis auf die steuersparende Manipulation. Laut Staatsanwaltschaft waren es immer die Kassenvertreiber, die die Software nach Wünschen ihrer Kunden mit passenden Voreinstellungen konfiguriert haben.

Gegen die Restaurantbetreiber werden gesonderte Verfahren eingeleitet. Eine Gastronomin wurde laut Bericht der dpa bereits vom Amtsgericht Lüneburg zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt.

Um dem Steuerbetrug auf die Schliche zu kommen, besuchten die Ermittler verdächtige Lokale für "viele Probeessen" und bemerkten mitunter, dass diese Besuche in den Umsatzangaben nicht auftauchten. Durch Vergleich dieser Angaben mit Besucherzählungen kamen sie dann zu Hochrechnungen für die mutmaßlich realen Umsatzzahlen.

Wie die Fahnder herausfanden, kam es meistens dann zum Betrug, wenn an einem Tisch mehrere Gäste saßen, die dann getrennt zahlten. In diesen Fällen wurden nur einige der fälligen Buchungen tatsächlich erfasst und die Kunden erhielten dann auch keinen Bon.

Nach den Plänen des Gesetzgebers hätte die verdeckte Ermittlung gegen Restaurantbetreiber schon bald ausgedient, denn ab Anfang 2020 sollte ein zertifiziertes Sicherheitsmodul in allen elektronischen Registrierkassen eine Manipulation der Umsatzdaten verhindern. Allerdings hat sich die deutsche Ministerialbürokratie nicht nur als eine der letzten im EU-Gebiet mit der sogenannten Kassenfiskalisierung beschäftigt, sondern sie hat das zudem recht wankelmütig und ohne Rücksicht auf die Belastung von Kleinbetrieben getan. Heraus kam eine Kassenrichtlinie mit der absehbaren Verpflichtung, dass sich Hunderttausende Betriebe aufgrund kommender Vorschriften neue Registrierkassen anschaffen müssen.

Während solche Ausgaben etwa in Österreich staatlich bezuschusst wurden, werden deutsche Betriebe voraussichtlich auf den Kosten sitzen bleiben; ganz abgesehen davon, dass viele Einzelentwickler, die mit Kassensoftware für Gastronomiebetriebe am Markt sind, durch die anstehenden Zertifizierungspflichten für ihre Produkte in ihrer Existenz bedroht werden.

Ein weiteres Dilemma resultiert aus dem gewünschten zeitlichen Ablauf: Eigentlich sollen ab Neujahr 2020 alle elektronischen Kassen ein BSI-zertifiziertes Sicherheitsmodul enthalten, was in den meisten derzeit verwendeten Kassen nicht nachgerüstet werden kann. Die Kassenhersteller müssen also neue Geräte mit diesem Modul herausbringen. Nur gibt es bis heute weder ein solches Modul am Markt, geschweige denn eines mit BSI-Zertifikat.

Aus Entwicklerkreisen haben wir im Februar mehrfach gehört, es gebe noch nicht einmal die dafür benötigten Chips zu kaufen, die einen abgeschotteten Datenspeicher und einen Zeitgeber für manipulationssichere Zeitstempel enthalten müssen. Mehr noch: Der Auftrag zur Entwicklung eines Konzepts für ein Zertifizierungsverfahren ist erst im Juli 2018 ausgeschrieben worden, soll bis Ende November 2019 abgeschlossen werden und setzt außerdem voraus, dass der Auftragnehmer bereits über ein zertifizierbares Sicherheitsmodul verfügt.

Wie sich diese Projektvoraussetzungen mit der mutmaßlich fehlenden Hardware-Verfügbarkeit vereinbaren lassen, ist schleierhaft. Das BSI hat die Details seiner Ausschreibung nur für Bewerber offengelegt, und die Firma Cryptovision, welche die Ausschreibung gewonnen hat, gibt dazu ebenfalls keine Auskunft. Die Tochter der Bundesdruckerei GmbH beruft sich dabei auf vertragliche Vereinbarungen mit dem BSI.

Es zeichnet sich ab, dass bis Anfang 2020 keine dauerhaft vorschriftskonformen Kassen verfügbar sein werden. Immerhin sieht die Kassenrichtlinie vor, dass nach 2010 angeschaffte elektronische Kassen, für die eine Nachrüstung nicht möglich ist, übergangsmäßig bis Ende 2022 betrieben werden dürfen.

Mit alten und neuen Kassen bleibt freilich das Risiko, dass ein unkorrekter Gastwirt eine Einnahme gar nicht bucht und damit jedwede IT austrickst. Dagegen sollen die herkömmlichen Kassenbons herhalten, die elektronische Kassen von Gesetzes wegen schon heute für jeden Bezahlvorgang ausdrucken müssen. Nun muss nur noch dafür gesorgt werden, dass jeder Kunde beim Bezahlen auch einen Kassenzettel verlangt – dann bleibt dem Händler oder Gastwirt kein Ausweg, er muss den Vorgang buchen.

In Tschechien hat sich der Fiskus deshalb einen Weg ausgedacht, Verbrauchern die Kassenzettel schmackhaft zu machen: Jeder Bon muss zugleich als Los für eine Lotterie gelten, aus der sich Kassenzettel-sammelnde Kunden Gewinne im fünfstelligen Euro-Bereich erhoffen können.

(hps)