Zahlen, bitte! Mit 99,7 Prozent auf der dunklen Seite der Statistik

Die einzig korrekte Zahl nach einem 1. April ist natürlich die Dunkelziffer. Sie gibt es in vielen Varianten, einige davon sind gecybert.

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Zahlen, bitte! 99,7
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Detlef Borchers
Inhaltsverzeichnis

Die Dunkelziffer stammt aus der deutschen Dissertation eines japanischen Juristen, der sich anno 1908 mit Überlegungen amerikanischer Statistiker zu den damals erstmals ausgewiesenen Verbrechensraten beschäftigte. Der angehende Jurist übersetzte die "dark number" nicht mit Dunkelzahl, sondern mit Dunkelziffer. In seinem Sinne bleiben wir auch in der anstehenden Reiwa-Zeit
bei seiner Übersetzung und beschäftigen wir uns mit der Wunderzahl der Kriminalistik, die alles oder nichts erklären kann: Zu jeder aufgeklärten Straftat gehören als Dunkelziffer die Delikte gleicher Kategorie, die nicht aufgeklärt oder nicht gemeldet oder nicht entdeckt wurden. Die Dunkelziffer ist das wahre Leben.

Zahlen, bitte!

In dieser Rubrik stellen wir immer dienstags verblüffende, beeindruckende, informative und witzige Zahlen aus den Bereichen IT, Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft, Politik und natürlich der Mathematik vor.

Am Dienstag stellt Bundesinnenminister Horst Seehofer die Polizeiliche Kriminalstatistik 2018 vor. Er will die gute Arbeit seiner Sicherheitsbehörden präsentieren, deshalb werden Erfolgsmeldungen präsentiert, während die Dunkelziffern der einzelnen Deliktarten dort bleiben, wo das Licht von Recht und Ordnung nicht scheint.

Der Ausgangspunkt dieser kleinen Reise zu den dunklen Ziffern ist natürlich die Cybersicherheit. Cyber Cyber ist schließlich die Waberlohe unseres aufgeklärten Jahrhunderts. Aufklären wollte Holger Münch, der Chef des Bundeskriminalamtes, wie groß die Gefahr aus dem Cyberraum ist, als Summe der bekannt gewordenen und gemeldeten Delikte plus dem geschätzten Dunkelfeld. Seine Antwort ist interessant:

"Der IT-Branchenverband Bitkom geht davon aus, dass Datendiebstahl und die damit zusammenhängende Wirtschaftsspionage und -sabotage die deutsche Wirtschaft jährlich 22,4 Milliarden Euro kosten. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat 2015 eine Studie veröffentlicht, in der die Wissenschaftler auf etwa 14,7 Millionen Fälle von Cyberkriminalität pro Jahr kommen. Stimmen diese Zahlen, würden der Polizei gerade einmal 0,3 Prozent aller Fälle bekannt.

Im Umkehrschluss wäre die Dunkelziffer bei der Cyberkriminalität 99,7? Der rechtschaffende Bundeskriminalamtchefs nahm für seine Dunkelziffer-Rechnung die Zahlen eines Lobbyverbandes, die dieser 2016 auf der Hannover Messe veröffentlichte und stellte sie den Zahlen von Wissenschaftlern gegenüber, die eigentlich Konjunkturforschung betreiben. Sie meldeten 2017 14,7 Millionen Internetstraftaten, basierend auf einer telefonischen Umfrage mit 12.000 befragten Bürgern. Was auf diese Weise unter den Tisch fällt, sind die unterschiedlichen Bezüge. Hier der Phishing-Angriff auf Bürger, dort der Angriff auf Unternehmen.

Das kann man machen, landet dann aber bei generellen Aussagen wie "Computerkriminalität ist schon vom Wesen her Dunkelfeldkriminalität". Das jedenfalls behauptete Helmut Picko vom LKA Nordrhein-Westfalen. Er leitet dort das cloudbasierte KI-Projekt HiPoS (Hybride integrative Plattform Polizeilicher Sondernetze), das mit Hilfe von B.E.A.S.T. (Big Data Enhanced Analytics SysTem) Cyberkriminellen schon vor der Tat auf die Spur kommen will.

Sind genügend Daten da, so will man mit Hilfe von Predictive Analytics gezielt im Dunkelfeld zuschlagen. Die unterschwellige Werbung für die schrankenlose Datensammelei durch die Polizeibehörden bekommt so ein hübsches Mäntelchen.

Wer die Nachrichten verfolgt, dem werden die Berichte über den neuen Blutdoping-Skandal nicht entgangen sein, begleitet von überraschten Kommentaren, dass der Profisport so unsauber ist. Vergessen ist wohl die Berechnung der Dunkelziffer von 34,9 Prozent Sport-Dopern, die Wissenschaftler der Universität des Saarlandes nach einer Befragung von Sportlern veröffentlichten.

Diese Dunkelziffer kam ans Tageslicht, weil man bei der Befragung eine Zusatzschleife einbaute, die wieder herausgerechnet werden konnte, wie es der Sportwissenschaftler Werner Pitsch erklärte: "Die Befragten sollten eine Münze werfen. Bei Kopf mussten sie auf jeden Fall mit ja antworten, unabhängig davon, ob sie es getan hatten oder nicht. Bei Zahl sollten sie eine ehrliche Antwort geben“, erklärt Werner Pitsch. Zu schade, dass der Trick im Cyberraum nicht funktioniert. Da ist niemand, der die rote oder blaue Pille schluckt. (axk)