Lex YouTube: Die umstrittenen Upload-Filter kommen

Am 26. März hat das EU-Parlament der neuen EU-Urheberrechtsrichtlinie zugestimmt. Durch das neu beschlossene Haftungsregime für Content-Plattformen werden weniger legitime Inhalte im Web landen.

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Lex YouTube: Die umstrittenen Upload-Filter kommen

(Bild: CC-BY-4.0 / European Union 2019 / EP)

Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Holger Bleich
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Am Ende war es dann doch eine komfortable Mehrheit: Mit 348 gegen 274 Stimmen winkte das EU-Parlament die neue EU-Urheberrechtsrichtlinie ohne weitere Änderungen durch. Nach zuletzt heftiger Debatte und vielen Verhandlungsrunden hat die Reform damit die letzte schwere Hürde genommen und dürfte noch vor der Europawahl im Mai unter Dach und Fach sein.

Das neue Regelwerk rund ums Urheberrecht soll die zurzeit gültige EU-Richtlinie aus dem Jahr 2001 ablösen. Vor allem geht es um Anpassungen an die geänderten Veröffentlichungsformen von urheberrechtlich geschützten Inhalten im Internet. Ein Großteil der Regeln, etwa zur Nutzung von Werken im Bildungsbereich, stößt auf allgemeine Zustimmung. Allerdings entbrannte eine Debatte darum, wie User-Generated-Plattformen mit Urheberrechten an Videos, Musik, Fotos oder Texten umzugehen haben. Im sogenannten Trilogverfahren, einer Verhandlung zwischen den drei Institutionen EU-Kommission, -Parlament und -Rat, kam ein Kompromiss zustande, der viele – vor allem jüngere – Menschen auf die Straße trieb.

Die Kritik am Reformkompromiss richtet sich gegen das Leistungsschutzrecht für Presseverleger (Artikel 15), vor allem aber gegen das in Artikel 17 (ehemals Artikel 13) eingeführte Lizenzierungsgebot für kommerzielle „Intermediär-Plattformen“. Wie aus vielen Äußerungen der Befürworter und aus den Begründungen des Richtlinientextes hervorgeht, haben beide Regeln einen konkreten Adressaten im Visier: Google.

Das – hierzulande längst gescheiterte – Leistungsschutzrecht entspringt der Abneigung von Zeitungsverlegern gegen den US-Konzern. Es regelt, dass bereits kleinste Textausschnitte aus Online-Artikeln („Snippets“) lizenzpflichtig sind. Google News soll also dafür bezahlen, wenn es Anrisse von Medienseiten übernimmt. Die Musik- und Filmindustrie konzentrierte sich auf YouTube und lobbyierte intensiv gegen das Gebaren von Googles Tochterunternehmen. Die Video-Plattform, so der Vorwurf, habe zum Geschäftsmodell erhoben, sich an illegal hochgeladenen Inhalten auf Kosten der Urheber und Verwerter zu bereichern.

Die Richtlinie sieht nun vor: YouTube soll mit Gesetzen in allen EU-Mitgliedsstaaten dazu gebracht werden, für sämtliche auf der Videoplattform hochgeladenen Inhalte Rechte an Bild und Ton zu erwerben. Dazu soll das US-Unternehmen insbesondere mit Verwertungsgesellschaften wie der GEMA Lizenzen aushandeln, aber auch mit einzelnen Rechteinhabern beziehungsweise Urhebern. Das Ziel soll sein, dass YouTube mehr und damit nach Meinung der Verwerter angemessener für Inhalte bezahlt, an deren Veröffentlichung das Unternehmen verdient.

Beschwert sich ein Rechteinhaber wegen eines unrechtmäßigen Uploads, muss YouTube Artikel 17 zufolge wahlweise nachlizenzieren oder den Inhalt entfernen – und dafür sorgen, dass er nie wieder erscheint. Dazu muss der Rechteinhaber „notwendige Informationen“ zum geschützten Werk bereitstellen, damit dieser Inhalt bei allen künftigen User-Uploads erkannt und vor Veröffentlichung entfernt werden kann – es dürfte um Fingerprints gehen. Wie präzise muss nun diese De-facto-Upload-Filterung funktionieren?

Entscheidend ist hier der Wortlaut der erst seit wenigen Tagen vorliegenden, offiziellen Übersetzung des Richtlinientextes. Demnach muss YouTube „alle Anstrengungen unternommen“ haben, „um gemäß Buchstabe b das künftige Hochladen dieser Werke oder sonstigen Schutzgegenstände zu verhindern“. Absatz b regelt folglich die Definition des nicht als Begriff vorhandenen Upload-Filters. Und da heißt es, die Plattform muss nachweisen, „nach Maßgabe hoher branchenüblicher Standards für die berufliche Sorgfalt alle Anstrengungen unternommen“ zu haben, „um sicherzustellen, dass bestimmte Werke und sonstige Schutzgegenstände, zu denen die Rechteinhaber den Anbietern dieser Dienste einschlägige und notwendige Informationen bereitgestellt haben, nicht verfügbar sind“.

Für YouTube ist dies der Knackpunkt: Schlägt die Filterung fehl, wird die Plattform sofort schadensersatzpflichtig. Gleichzeitig bleibt aber der hochladende Nutzer – anders als von Befürwortern der Reform oft behauptet – weiter in der Täterhaftung. YouTube wird also seinen Upload-Filter Content ID extrem scharf einstellen, um sich und seine Nutzer aus der Schlusslinie zu nehmen.

Gegner der Reform befürchten, dass genau das zu massivem Overblocking, also einem Filtern auch legitimer Inhalte führen wird. Nutzer könnten ihre Inhalte in vorauseilendem Gehorsam um jeden Verdachtsmoment bereinigen und damit im Zweifel auch so manche rechtmäßige Inhalte gar nicht erst Hochladen. Zwar nennt Artikel 17 Ausnahmen, nämlich „Zitate, Kritik, Rezensionen, Nutzung zum Zwecke von Karikaturen, Parodien oder Pastiches“, doch dürfte Content ID Nutzungen in diesen Rahmen kaum erkennen und von der Filterung ausnehmen, wie diverse Beispiele aus der Vergangenheit belegen.

YouTube wird die Filterpflicht erfüllen können. Schließlich definiert das US-Unternehmen mit Content ID den „hohen, branchenüblichen Standard“, der das Kriterium „alle Anstrengungen“ mit Sicherheit erfüllt. Aber: Außer YouTube kann das höchstens noch Facebook – was ist mit all den anderen, kleineren Plattformen, die nach Definition der Richtlinie genauso zum Filtern verpflichtet sind, aber wohl nicht im Visier der regelrecht Google-besessenen Lobby-Flüsterer standen?

Nach Überzeugung vieler Urheberrechtsjuristen – auch denen des Heise-Verlags – umfasst die in Artikel 2 Abs. 6 festgelegte Definition von „Diensteanbietern für das Teilen von Online-Inhalten“ auch kleinere Plattformen, die Nutzer-Uploads zum Zweck haben, etwa das Video-Portal Vimeo, den Audio-Sharing-Dienst Soundcloud und die Rezepte-Plattform Chefkoch.de.

Einen Tag vor der Abstimmung wies auch die Redaktion von heise online in eigener Sache auf befürchtete negative Folgen der Urheberrechtsreform für das eigene Angebot hin.

Einen Tag vor der Abstimmung wies auch die Redaktion von heise online in eigener Sache auf befürchtete negative Folgen der Urheberrechtsreform für das eigene Angebot hin.
Auch herkömmliche, große Webforen wie das von heise online dürften betroffen sein und damit filtern müssen. Es steht zu befürchten, dass Textfilter Einzug halten und Multimedia-Upload-Möglichkeiten in Foren aus berechtigter Furcht vor dem Haftungsrisiko abgeschaltet werden. Man stelle sich vor: Im größten deutschen Kfz-Forum Motor-Talk.de dürften die Autoliebhaber keine Fotos ihrer getunten Kisten mehr teilen.

Die EU-Kommission hatte 2016 die Urheberrechtsreform angestoßen und feiert sich nun selbst: „Diese Richtlinie schützt die Kreativität im digitalen Zeitalter und stellt sicher, dass die Bürgerinnen und Bürger der EU vom breiteren Zugang zu Inhalten und von neuen Garantien zum Schutz ihrer Meinungsfreiheit im Netz profitieren“, erklärte Digitalkommissarin Mariya Gabriel.

Diese Aussage ist schwer mit den Fakten in Einklang zu bringen. Gerade Artikel 15 und 17 stärken tradierte Geschäftsmodelle, bei denen Medienunternehmen Urheberrechte aufkaufen, Werke verwerten und Inhalte vorsortieren. Die Richtlinie dürfte direkte Many-to-many-Kommunikation, wie sie die Content-Sharing-Plattformen ermöglichen, erschweren. Denn Privatleute – also die „kleinen“, nicht organisierten Urheber – sind meistens keine Rechtsexperten, und sie dürften künftig zurückhaltender agieren („Chilling“).

Die deutschen Verbraucherschutz- und Branchenverbände gingen nach der Abstimmung denn auch scharf mit der EU ins Gericht: „Heute hat das Europäische Parlament mehrheitlich gegen die Interessen von Nutzerinnen und Nutzern gestimmt. Damit bedrohen verpflichtende Upload-Filter auch viele vollkommen legale nutzergenerierte Inhalte“, kommentierte etwa Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv). Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder gab zu bedenken, dass es die Richtlinie „jungen europäischen Unternehmen erschwert, zu großen Plattformen zu wachsen“. Auch der Provider-Verband eco wurde ungewöhnlich deutlich. Dessen Vorstandsvorsitzender Oliver Süme kritisierte, dass der europäische Gesetzgeber während der zweieinhalbjährigen Diskussion sämtliche Kritikpunkte ignoriert und Alternativvorschläge nicht ausreichend berücksichtigt habe.

Kurz vor der Abstimmung kam die CDU, die die Richtlinie auf EU-Ebene unterstützt, mit dem absurden Vorschlag um die Ecke, sie nicht vollständig in deutsches Recht umzusetzen. Einem Vorschlag der Partei zufolge sollten dann in Deutschland unterhalb einer bestimmten Länge Uploads von Lizenzgebühren frei sein. Rechtsexperten sind sich weitgehend einig, dass die Umsetzung dieses Vorschlags – nämlich die Einführung neuer Schrankenregelungen – nicht mit der Richtlinie konform gehen kann und europarrechtswidrig wäre.

Am 15. April steht die letzte, nur noch formelle Zustimmung des Europarats zum Kompromiss an. Danach haben die EU-Mitgliedsstaaten 24 Monate Zeit, ihre nationalen Gesetze jeweils an die Bestimmungen der neuen Urheberrechtsrichtlinie anzupassen. Wie die Plattform-Betreiber reagieren werden, ist noch völlig offen. Gut möglich, dass Google wegen des Leistungsschutzrechts seinen News-Service in Europa dicht macht. YouTube wird entgegen der Kritiker-Befürchtungen weiterleben, aber in zwei Jahren vielleicht anders aussehen.


Emmet Shear, Chef der bei Millionen Kids überaus beliebten Gamestreaming-Plattform Twitch, gab kurz vor der Abstimmung zu bedenken: „Grundsätzlich müssten wir, um uns und unsere Kreativen zu schützen, eine Art automatisiertes Filtersystem implementieren, das sehr restriktiv ist und das alles aus Europa, was eine Urheberrechtsverletzung sein könnte, daran hindert, rauszugehen.“ Seine Konsequenz ist drastisch und genau jene, die die Kritiker befürchten: „Wenn jemand in den USA streamt, werden die europäischen Nutzer dann aus dem Stream herausgefiltert.“ Es könnte also durchaus Gewinner der Reform geben: Die Anbieter von VPN-Zugängen zur Umgehung von Geoblockaden.

(hob)