Weisheit und Mut

Das Gutachten der Nationalen Akademie der Wissenschaften zur Luftqualität in Deutschland zeigt, dass es keine unpolitische Wissenschaft gibt.

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Da reibt man sich doch erstaunt die Augen: Jahrelang streitet ganz Deutschland über Stickoxide, Diesel-Fahrverbote, Stickoxid-Grenzwerte und den Standort von Messstationen. Jetzt veröffentlicht die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina Ende Januar ein Gutachten dazu – und alle sind zufrieden.

Die FAZ fasst das Geschehen prägnant zusammen: Verkehrsminister Andreas Scheuer, der die Grenzwerte die ganze Zeit in Frage gestellt hatte, triumphierte: "Die Leopoldina bestätigt unsere Strategie." Fahrverbote seien der falsche Weg, zitiert ihn die FAZ. Auch die Deutsche Umwelthilfe ist demnach zufrieden, denn "die Studie stellt die Grenzwerte in keiner Weise in Frage." Selbst die Grünen in Baden-Württemberg freuen sich, weil die Wissenschaftler eine "echte Verkehrswende" fordern, denn "natürlich sind Fahrverbote nur Rumdoktern am Symptom.“

Wie kann das sein? Woher kommt die ganze Harmonie auf einmal? Die geballte Eintracht erklärt sich daraus, dass die in der Arbeitsgruppe der Leopooldina versammelten Experten sich bemerkenswert geschickt verhalten haben: Sie halten sich an den allgemeinen wissenschaftlichen Konsens, tun aber gleichzeitig niemanden wirklich weh. Im Chinesischen nennt sich das Wu wei – Handeln durch Nichthandeln.

Einerseits schreiben die Experten: "Weder für Stickstoffdioxid noch für Feinstaub ist eine exakte Grenzziehung zwischen gefährlich und ungefährlich im Sinne eines Schwellenwerts möglich, unterhalb dessen keine Gesundheitseffekte zu erwarten sind". Wenn man den Grundgedanken des Vorsorgeprinzips ernst nimmt, würde das heißen, dass sämtliche Exposition zu vermeiden ist. Tatsächlich ist auch die Leopoldina der Meinung, dass die Feinstaub-Grenzwerte in Deutschland eigentlich gesenkt werden müssten. Andererseits betonen die Autoren der Studie, wie sauber die Luft in Deutschland seit den 90ern geworden ist, dass Fahrverbote die Belastung ja nur lokal verschieben würden, und zur globalen Minderung der Belastung nichts beitragen würden.

Genau da aber liegt der Denkfehler: Denn Fahrverbote bewirken nicht nur, dass einzelne Fahrer älterer Diesel vielleicht einen Umweg machen müssen. Sie üben generell Druck auf den motorisierten Autoverkehr aus, und könnten so langfristig dazu führen, dass der eine oder andere Autofahrer seine Kiste lieber stehen lässt. Und genau das ist nötig, um die Luftqualität in den Städten nachhaltig zu verbessern. Jede "echte Verkehrswende", die diesen Namen auch verdient, macht nicht nur ein paar nette, nachhaltige Zusatzangebote für die Mobilitätsbedürfnisse ökologisch bewusster Mittelschichtler verfügbar. Sie muss dem bisherigen Platzhirsch Auto mit Verbrennungsmotor Privilegien und Raum nehmen.

Das zu sagen, hätte aber nicht nur Klugheit erfordert, sondern auch Mut. Eine Eigenschaft, die in akademischen Kreisen offenbar nicht so wichtig ist.

(wst)