Technisches Pubertieren

Erst heißt es, Internet macht einsam. Stattdessen interagiert (und intrigiert) nun jeder mit jedem. Die Gefahr für das Wohlergehen des modernen Menschen liegt ganz woanders.

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Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Peter Glaser

Das Internet ist ein Ort, an dem es einem zunehmend schwer fällt, für sich zu sein (was viel mit dem zu tun hat, was man Privatsphäre nennt respektive nannte). Ständig ist man in irgendein neuartiges Wir verstrickt, auf Facebook und in anderen globaldörflichen Communities, oder als ahnungsloser Datensatz, der einer Zielgruppe hinzugefügt wird. Bedrängt von solcher notorischen Netzgemeinschaftlichkeit wünscht man sich förmlich jene fiktive Vereinsamung herbei, die vor noch nicht allzu langer Zeit als Gefahr an die Wand gemalt wurde, die dem kommunikativen Menschenwesen im Internet drohe.

Ein bemerkenswertes Phänomen dieser Sucht, alles miteinander zu teilen, ist das Verschwinden des Erwachsenwerdens. In der digitalen Welt vermag der Mensch sich offenbar nur noch zu einem Dauerkind zu entwickeln. In alten Filmen – etwa bis Anfang der 50er-Jahre – sieht man entweder Kinder oder Erwachsene, etwas dazwischen gibt es nicht.

Manches Milchgesicht in Hut und Anzug hat ziemliche Mühe, der Ernennung zum "Großen" gerecht zu werden. Mit den nachfolgenden "Halbstarken", Teen-Agern und Twens öffnete sich eine neuartige, vorerst gedeckelte Altersgruppe ("Trau keinem über 30"), die sich zwar aus Gründen der Abgrenzung rebellisch gegen die Elterngeneration wandte, sich dann aber auch dem Staat gegenüber weiterhin nur wie ein Haufen verwöhnter Gören verhielt ("Ich will, ich will aber jetzt ein autonomes Jugendzentrum!").

Mit der studentischen Wohngemeinschaft entstand ein wichtiges Instrument, das die tektonischen Verschiebungen des Heranwachsens abfederte und für nachelterliche Nestwärme sorgte. Irgendwann hatten die meisten die Nase voll davon, die Haare anderer Leute aus der Dusche zu entfernen, mieteten sich eine eigene Wohnung und begannen ein eigenes Leben. Was früher die WG war, ist heute das Smartphone in der Jackentasche. Es enthält die ultimative Großwohngemeinschaft. Alle Freunde sind jetzt immer mit dabei. Man merkt das unter anderem daran, dass auf Facebook niemand mehr Guten Tag oder Auf Wiedersehen sagt. Einmal auf Facebook ist immer auf Facebook.

Wir sind Gefangene dieser Gegenwart, und das Schlimmste ist: Es ist gar nicht nicht so schlimm. Es ist ein Luxusgefängnis, in dem es uns ein bißchen geht wie mexikanischen Drogenbaronen – wir können nicht raus, aber wir können alles haben, was es auch draußen gibt. Eine immer weiter verfeinerte Internet-Bequemlichkeitsökonomie bietet sich an, einem jede Tätigkeit abzunehmen, die zu so etwas wie Selbständigkeit und sozialer Ausdauer beitragen könnte. Für junge Menschen wird es dadurch zu einem echten Problem, erwachsen zu werden. Die Lehr- und Wanderjahre bei der Durchquerung der Pubertät werden outgesourct. "Wer hätte geahnt, dass das Erkennungsmerkmal meiner Generation die Fähigkeit sein würde, Pappkartons plattzumachen?", schreibt eine Amazon-abhängige junge Frau.

Sie können sich kuratierte Zusammenstellungen von Klamotten und Kochrezepte mitsamt der abgewogenen Zutaten ins Haus schicken lassen. Ihre Hemden und Tops werden zum Bügeln abgeholt und zurückgebracht. Und es werden zuvor undenkbare Arten der Verschwendung möglich. Eine junge Bekannte, der in einem rauschhaften Zustand von Kochfreude aufgefallen war, dass sie keine Zwiebeln mehr hatte, beauftragte einen Lieferservice mit der Expresszustellung einer einzelnen Zwiebel. Nach kurzer Verhandlung am Telefon wurde sie zum Mindestbestellwert von 15 Euro gebracht.

(bsc)