Darwins Maschinen

Die Roboter der Zukunft werden nicht mehr von Menschen konstruiert. Sie entwickeln sich von selbst weiter.

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Darwins Maschinen

(Bild: M.I.T. Press)

Lesezeit: 6 Min.

Wie muss ein Roboter aussehen, der das Innere eines Atomkraftwerks nach einer Kernschmelze untersucht? Und wie eine Maschine, die in den Ozeanen des Jupiter-Mondes Europa nach Spuren von Leben fahndet? "Keine Ahnung", sagt Emma Hart von der Edinburgh Napier University. Aber sie will dafür sorgen, dass sich solche Roboter von selbst entwickeln. So wie das Leben auf der Erde, nach den Prinzipien der Evolution – nur sehr viel schneller.

Erstmals wollen Hart und ihre Kollegen dabei ein Verfahren auf physisch existierende Maschinen anwenden, das bislang nur im Computer funktioniert: die evolutionäre oder auch genetische Programmierung. Evolutionäre oder genetische Algorithmen kommen seit den 1980er-Jahren bei Problemen zum Einsatz, die sich nicht mithilfe traditioneller Methoden lösen lassen. Meist sind das Aufgaben, für die man intuitivere Lösungsansätze braucht – oder schlicht so lange probieren muss, bis man die richtige Lösung gefunden hat. Die Nasa entwickelte beispielsweise Antennen für Mikrosatelliten mit dieser Methode.

Dazu bedient sich der evolutionäre Algorithmus des biologischen Vorbildes: Das gesuchte Design, zum Beispiel eine Antenne, wird in einer Art künstlicher DNA codiert. Am Anfang setzt der genetische Algorithmus die Werte für eine große Zahl verschiedener Antennen – eine Population – jeweils rein zufällig. Dann berechnet er die Brauchbarkeit jedes Individuums der Population über die sogenannten Fitnessfunktion. Ist ihr Wert nicht hoch genug, erleiden die Antennen das Schicksal des Archaeopteryx: Sie sterben aus. Alle anderen dürfen ihre DNA an die nächste Generation weitergeben. Wie genau das geschieht und wie etwa zufällige Mutationen einfließen, hängt vom konkreten Algorithmus ab. Nach einigen Tausend oder Zehntausend Generationen erhält man in der Regel eine stabile Lösung.

"Um das Prinzip auf die Entwicklung von Robotern anzuwenden, hat es in den vergangenen Jahren eine Menge Forschungsarbeiten gegeben", sagt Hart. Die ersten Erfolge dieser Untersuchungen waren schon recht spektakulär: Im Jahr 2000 erregten Hod Lipson und Jordan Pollack von der Brandeis University im US-Bundesstaat Massachusetts mit ihrem "Gole" eine Menge Aufsehen. Sie hatten gezeigt, dass sich aus einem Haufen Kolben und Motoren künstliche Wesen entwickeln können, die in der Lage sind, sich fortzubewegen. Zunächst glückte ihnen dieser Schritt lediglich in einer Computersimulation. Weil Roboter sich in Simulationen aber meist anders verhalten als in der Realität, bauten Lipson und Pollack die im Computer entwickelten Roboter mit einem 3D-Drucker real auf. Und siehe da: Auch die echten Maschinen konnten laufen. Die Simulation hatte also zu einem funktionierenden Ergebnis geführt.

Im Projekt "Autonomous Robot Evolution" wollen Hart und ihre Kollegen nun einen Schritt weiter gehen: Auch die Selektion soll nicht mehr im Computer, sondern in der echten Welt mit echter Hardware ablaufen. Jeder Roboter besteht aus einzelnen Kunststoff-Bausteinen, in die elektronische Komponenten wie Sensoren und Motoren fest eingebaut sind – die "Organe" des Roboters. Die künstliche DNA des Roboters, ein sogenanntes CPPN (Compositional Pattern Producing Network), enthält eine Art Bauvorschrift, also Informationen darüber, welches "Organ" an welcher Stelle des Roboters verbaut werden soll. Jeder Roboter muss anschließend in einer Testumgebung bestimmte Aufgaben erfüllen, um seine Fitness zu beweisen: ein Terrain erkunden beispielsweise oder einen vorher festgelegten Gegenstand darin bergen. Bewältigt die Maschine diese Aufgabe, darf sie ihre DNA an die nächste Generation weitergeben, deren DNA dann wieder im Computer entsteht. Das wird so lange wiederholt, bis keine wesentliche Verbesserung mehr zu erzielen ist.

Noch in diesem Jahr wollen die Wissenschaftler die ersten Robotergenerationen züchten. Am Anfang werden die Roboter noch von Hand zusammengebaut. Später soll auch die Gestalt einzelner Organe – zum Beispiel die Größe der Räder oder die Länge von Greifarmen – in die Evolution mit einfließen. Dann soll ein 3D-Drucker die Blöcke jedes Mal neu fertigen. "Wir haben das am Anfang die Geburtsklinik und die Roboterschule genannt", sagt Gusz Eiben von der Freien Universität Amsterdam. "Aber als wir das entsprechende Paper einreichten, sagte uns der Herausgeber: Das müsst ihr umbenennen. Sonst werde ich das Paper nicht veröffentlichen." Heute nennen die Forscher die Umgebung, in der sich die Roboter entwickeln, eine "Evosphere".

Die Idee von sich selbst verbessernden Maschinen könnte auf manche Menschen dennoch beunruhigend wirken. Denn was passiert, wenn die künstliche Evolution zu erfolgreich wird? "Deswegen haben wir uns gegen eine dezentrale Vermehrung der Roboter entschieden", sagt Eiben. "Roboter, die sich irgendwann an irgendeinem beliebigen Ort vermehren können, wären unkontrollierbar. Wir haben eine zentrale Stelle, an der die Vermehrung stattfindet. Wenn wir die abschalten, ist der Prozess beendet."

Eiben geht es nicht nur um eine neue Designmethode für Roboter. Mit ihrem Projekt wollen die Forscher auch die natürliche Evolution besser verstehen. "Um die Sterne zu erforschen, mussten Wissenschaftler lernen, Teleskope zu bauen. Um das Innere von Atomen zu erkunden, brauchten wir Beschleuniger. Mit der Evosphere bauen wir zum ersten Mal ein Instrument, um die Evolution zu untersuchen", sagt Eiben.

Natürlich sei die Evolution der Roboter stark vereinfacht, aber das Projekt sei durchaus geeignet, grundlegende Fragen zu erforschen: "Wie robust sind die evolutionären Lösungen? Was führt schneller zum Erfolg: sexuelle oder asexuelle Vermehrung?" Man könne das Zusammenspiel zwischen Individuum und Population genauso erforschen wie die Vererbung erlernter Fähigkeiten. "Vor zehn Jahren haben die Leute mich ausgelacht, wenn ich davon gesprochen habe", sagt Eiben. "Heute bauen wir die erste Evosphere der Welt. Die Forschung ist noch ganz am Anfang, aber wir bauen etwas, das nie zuvor existiert hat."

(wst)