re:publica: Steve Jobs und "Don't be evil" – Das Silicon Valley als Religion

Von der Mensch-Maschine bis zur Erschaffung eines neuen Gottes – der Soziologe Oliver Nachtwey sieht die Ideologie des Silicon Valley als Religion.

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re:publica: Steve Jobs und "Don't be evil" – Das Silicon Valley als Religion

(Bild: Bloomicon/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Torsten Kleinz
Inhaltsverzeichnis

Konzerne wie Facebook, Google oder Apple werden nach Überzeugung von Oliver Nachtwey mit einem quasi-religiösen Anspruch auf Weltverbesserung geführt. Auf der re:publica in Berlin erläuterte der Soziologie-Professor der Universität Basel die Ursprünge dieser Ideologie und ihre Auswirkungen auf die heutige Kultur und künftige Entwicklungen.

Zur Analyse der Denkweise der Silicon Valley-Konzerne hatte Nachtwey mit seinem Team unter anderem Texte wie Reden von Unternehmensführern ausgewertet, aber auch Tiefen-Interviews mit einigen Akteuren geführt. Ein Ergebnis der Untersuchungen: Die Wortführer der Internetindustrie meinen es durchaus ernst, wenn sie von der Weltverbesserung reden oder Googles ersten Slogan "Don't be evil" zitieren.

Obwohl die Realität der Silicon-Valley-Firmen kaum etwas mit den idealistischen Ansprüchen zu tun habe, seien sie nicht einfach nur "Bullshit", sondern dienten der Rechtfertigung des digitalen Kapitalismus. Das Verhalten der Konzerne, das eindeutig dem Profitstreben diene und sich zum Beispiel in Steuersparmodellen äußert, werde als notwendiges Übel angesehen, um auf dem Weg zur Weltverbesserung voranzukommen.

Die Unternehmensführer dieser Denkart hätten sich dem Kapitalismus verschrieben, den sie im Gegensatz zu ihren Vorläufern bevorzugt als Monopolkapitalismus gestalten wollten. Unternehmer wie Peter Thiel sähen in der Abschöpfung der Monopolgewinne eine legitime Möglichkeit ihre sonstigen Projekte wie die Erforschung der Unsterblichkeit oder die Eroberung des Weltalls zu finanzieren.

Dieses übergreifende Gedankenmodell mache sich bereits recht konkret im Verhalten der Firmen und der Gesellschaft bemerkbar. Nachtwey wird zum Beispiel durch die Inszenierung des Konzerns Apple an religiöse Riten erinnert. So sei Steve Jobs nicht nur als fähiger Unternehmer, sondern als eine Art Prophet verehrt worden, der die Gabe hatte, Güter magisch werden zu lassen. Die Teilnahme an den durchinszenierten Produktpräsentationen oder die Übernachtung vor dem Apple Store seien von den Apple-Gläubigen als spiritueller Akt begangen worden.

Oliver Nachtwey auf der re:publica

(Bild: Torsten Kleinz)

Nachtwey sieht die Ursprünge dieser Gedankenwelt in einer technikzentrierten Abspaltung der 1968er-Bewegung, die schließlich zu der "Kalifornischen Ideologie" geführt habe. Diese lehnte zwar wie die Hippies staatliche Institutionen eher ab, arrangierten sich aber recht schnell wieder mit kapitalistischen Firmen und dem militärisch-industriellen Komplex, da diese ihnen die Möglichkeiten gaben, die Technik zu entwickeln, die sie zum Fortschritt der Menschheit unabdingbar halten.

Dieser Fortschrittsglaube wird von dem Soziologen als Solutionismus bezeichnet. Der Grundgedanke: Jedes gesellschaftliche und andere Problem lasse sich in kleine Schritte unterteilen, die sich dann durch Technik, Algorithmen und Optimierung lösen ließen.

Individuell macht sich das Beispiel in unserem Gebrauch von Smartphones bemerkbar: "Das Handy legen wir kaum noch aus der Hand, es kann unsere Schritte zählen und hört uns auch zu", sagt Nachtwey. Wird diese Ideologie jedoch in Unternehmen gegossen, sind Firmen wie Uber oder Airbnb das Ergebnis, die zwar jeweils ein unmittelbares Problem lösen wollen, aber in ihrer Form als Multi-Milliarden-Unternehmen zu einer Reihe weiterer Probleme führen.

Geblieben sei diesen Unternehmen und seinen Angestellten aber eine grundsätzliche Skepsis gegenüber dem Staat. Regulierung werde als Hindernis verstanden, wenn der Mensch versuche sein volles Potenzial zu verwirklichen. Für die existierende Politik zeigten die CEOs wenig Verständnis. Ihnen erscheine etwa der Parlamentarismus wie ein überkommenes System, das durch den Einsatz von neuer Technik abgelöst werden solle.

Wohin diese Zukunftsvisionen führen sollen werde von Vordenkern wie dem Transhumanisten und Google-Manager Ray Kurzweil ausformuliert, der mittlerweile sogar seine eigene Kirche der Singularität betreibt. Hier werde das traditionelle Religionsverständnis auf den Kopf gestellt. Statt von einem allmächtigen Schöpfer auszugehen, gehe der Transhumanismus davon aus, dass der Mensch sich auf dem Wege zur Perfektion mit Maschinen vereine, bis eine Künstliche Intelligenz die Gesellschaft besser führen könne, als die Menschen selbst. "Gott ist nicht tot, sondern er entsteht erst noch", fasst der Soziologe zusammen.

Das Heilsverständnis von Ray Kurzweil werde aber nicht durchweg von den Silicon-Valley-Führungskräften geteilt. Viele glaubten an einen gesellschaftlichen Zusammenbruch und versuchten sich daher durch Landkäufe oder gar durch die Errichtung künstlicher Inseln Lebensräume abseits des erwarteten Chaos zu sichern.

Nachtwey sieht jedoch keinen zwangsläufigen Weg zu einer Gesellschaft, die diesen Gedanken folge. So verweist er auf die Probleme, die die Konzerne derzeit mit ihren Angestellten haben. Die glaubten zwar ihrerseits an die Vision der Weltverbesserung, würden sich aber auf dem Weg dahin nicht mehr mit allen Schritten einverstanden erklären, wie zum Beispiel mit Militäraufträgen oder einer Unterstützung von diktatorischen Regimen. "Hier steckt auch Potenzial für eine Gegenbewegung", erklärte Nachtwey in Berlin. (mho)