re:publica: Uber oder der Boss ist ein Algorithmus

Kurz vor dem Börsengang steht das umstrittene Startup erneut in der Kritik wegen seines Umgangs mit Fahrern – und der erfolgreichen Umdefinition von Arbeit.

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Fahrt auf der Bay Bridge Richtung San Francisco in einem Lyft/Uber-Fahrzeug

(Bild: heise online/Sokolov)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Torsten Kleinz
Inhaltsverzeichnis

Ist die "Gig-Economy" die Zukunft oder beuten die Plattformen ihre "Mitarbeiter" aus? Auf der re:publica in Berlin hat die Ethnografin Alex Rosenblat die Geschäftspraxis von Uber sowie die zögerliche Regulierung kritisiert. Uber behandele die Fahrer als selbständige Unternehmer, wenn es um Arbeitnehmerrrechte gehe, enthalte ihnen aber Informationen vor, die rationale Entscheidungen erst ermöglichten.

Uber selbst sieht auf der eigenen Plattform keine Kommunikation zwischen den Fahrern vor. "Doch sie haben sich online eine eigene Arbeitsplatz-Kultur geschaffen, über Facebook-Gruppen, WhatsApp, Webforen und Websites für Uber-Fahrer", sagte Rosenblat. Diesen Foren gehörten alleine in den USA 300.000 Fahrer an. Die Wissenschaftlerin hatte solche Kommunikationsforen über Jahre beobachtet und Hunderte Fahrer interviewt.

Nach Rosenblats Erkenntnissen unterscheidet sich die Wirklichkeit, die sich in diesen Communities darbot, deutlich von der Selbstdarstellung des Unternehmens. Uber präsentiere sich gerne als neutraler Technologieanbieter. Tatsächlich haben Uber-Fahrer keinen menschlichen Vorgesetzten, sondern kommunizieren mit dem Unternehmen fast ausschließlich über die App.

Das scheinbare Fehlen jeglicher Arbeitshierarchie werde von den Fahrern zum Teil als sehr positiv wahrgenommen, erklärte Rosenblat. So sei es im Taxigewerbe zum Teil üblich, dass Fahrer die Fahrtdisponenten bestechen müssten, um an lukrative Aufträge zu kommen. Auch sei der Routen-Algorithmus zunächst ein unmittelbarer Vorteil für die Fahrer.

Doch obwohl bei Uber der Disponent durch einen "algorithmischen Boss" ersetzt worden sei, lernten die Fahrer sehr bald auch die Willkür des scheinbar neutralen Systems kennen. So aktiviert das Unternehmen bei hoher Nachfrage in einem bestimmten Gebiet das "surge pricing", bei dem der Fahrpreis schnell auf ein Vielfaches des Üblichen steigt.

Alex Rosenblat auf der re:publica 19: "Uber hat verändert, was wir unter Arbeit verstehen."

(Bild: heise online/Kleinz)

"Fahrer beschreiben das als eine Art Herdenkontrolle", schilderte Rosenblat. Sobald die Preise steigen, strömen viele Uber-Fahrer in das Gebiet, das hohe Umsätze verspricht. Im Prinzip könnte das eine freie unternehmerische Entscheidung sein. Doch die Praxis sehe anders aus, erklärte Rosenblat am Beispiel eines Fahrers, der sich in die Hochpreiszone begeben hatte, dann aber eine Fahrt außerhalb dieser Zone zugewiesen bekam. Nachdem er diese Fahrt abgelehnt habe, sei ihm mit der Deaktivierung des Accounts gedroht worden

Generell würden den Fahrern wesentliche Informationen vorenthalten, um eigenständige unternehmerische Entscheidungen zu treffen. Statt als Angestellte oder Partner sehe Uber die Fahrer als Kunden. Dies zeige sich auch bei der Kommunikation mit dem Unternehmen: So würden Fahrer bei Beschwerden zunächst mit vorformulierten E-Mails abgespeist. Ohnehin würden Beschwerden eher abgebügelt.

Rosenblat sieht in Uber keine Ausnahmeerscheinung – das Unternehmen verkörpere in vielen Belangen die Ideen vieler Firmen im Silicon Valley. So herrsche eine Kultur des Experiments, bei dem tiefgreifende Veränderungen vorgenommen werden, ohne die Betroffenen ausreichend zu informieren. So fanden Fahrer erst nach ausgiebigem Austausch von Fahrtabrechnungen heraus, das der Auszahlungs-Algorithmus geändert worden war.

In den vergangenen Jahren habe Uber auch einige Verbesserungen für die Fahrer eingeführt – beispielsweise einen Schutz vor schlechten Bewertungen, die nichts mit dem Verhalten des Fahrers zu tun hatten. Die Unternehmenskultur mache es schwer, solche Verbesserungen nachhaltig durchzusetzen. So gebe es keine Garantie, dass eine Verbesserung auch nach sechs Monaten noch existiere.

Uber profitiere von dem positiven Image, das die Konzerne aus dem Silicon Valley in den USA haben. Die Errungenschaften der Online-Konzerne würden hier mit einer Art Nationalstolz betrachtet. Zudem würde die Anwendung von Algorithmen als positiv angesehen. Folge: Regulierer ließen das Unternehmen zuerst gewähren, selbst wenn es Zweifel am Geschäftsmodell gab. Teilweise wurde den Fahrern auch offiziell verwehrt, gemeinsam über höhere Tarife zu verhandeln.

Der App-Anbieter war genau dann auf den Markt getreten, als durch die US-Wirtschaftskrise viele Amerikaner ihren Arbeitsplatz verloren hatten. Politiker wollten nichts tun, um Wählern lukrativ erscheinende Arbeitsplätze zu verwehren. Die Folgen reichten weit über Uber selbst hinaus: "Uber hat verändert, was wir unter Arbeit verstehen", sagte Rosenblat. Das Unternehmen, das nun mit dem Börsengang bis zu 90 Milliarden US-Dollar einbringen soll, sei ganz darauf angelegt, soziale Verpflichtungen zu umgehen. (vbr)