KI-Konferenz AAMAS: Mit KI die Zukunft der Arbeit simulieren

KI zerstört Arbeitsplätze, heißt es immer wieder. Eine KI eines universitären Forschungsprojektes ermittelt nun, ob das stimmt.

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AAMAS: Lässt sich die Zukunft der Arbeit simulieren?

(Bild: whiteMocca/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske
Inhaltsverzeichnis

Ob Technologien der Robotik und Künstlichen Intelligenz (KI) in nächster Zeit zu dramatischen Umwälzungen des Arbeitsmarktes führen werden, ist eine gegenwärtig heiß diskutierte Frage. Auf einer Konferenz in Montréal hat ein Workshop nun einen bislang wenig beachteten Aspekt thematisiert: Wie wäre es, KI selbst zu nutzen, um ihre möglichen gesellschaftlichen Auswirkungen zu simulieren?

Der Workshop MABS 2019 (Multi-Agent-Based Simulation) im Vorfeld der Konferenz AAMAS (Autonomous Agents and Multiagent Systems) begann mit einer Keynote von Jean-Daniel Kant. Der Informatiker von der Pariser Universität Sorbonne stellte das von ihm zusammen mit Gérard Ballot betriebene Projekt NumJobs vor, dessen Ziel es ist, die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Gesellschaft zu simulieren. Dabei geht es insbesondere um die Frage, ob mehr Arbeitsplätze zerstört als neu geschaffen werden. Das wichtigste Instrument dabei ist WorkSim, ein Multi-Agentensystem, mit dem die Interaktionen von Firmen und Arbeitsuchenden modelliert werden können. Mit 20.000 Agenten (1700 Firmen und 18.300 Individuen) entspräche es einer um den Faktor 2300 verkleinerten Version des französischen Arbeitsmarktes, sagte Kant.

Bei der Simulation, die auf einem Netzwerk aus 48 Computern zwei Tage benötigt habe, seien die Auswirkungen der 2016 verabschiedeten französischen Arbeitsmarktgesetze modelliert worden, die unter anderem Entlassungen aus wirtschaftlichen Gründen erleichtern sollten und zu heftigen Protesten geführt hatten. Dabei habe sich eine anhaltende Aufteilung in dauerhafte Arbeitsplätze und solche mit befristeten Verträgen ergeben, die sich mittlerweile durch die reale Entwicklung bestätigt habe. Die nach der Arbeitsministerin El Khomri benannten Gesetze hätten keinen Effekt auf die Gesamtbeschäftigung gehabt, wohl aber zu einer Verschiebung zu Gunsten jüngerer Arbeitnehmer und zum Nachteil älterer geführt. Die Profite der Firmen seien um 16 Prozent gestiegen, die Löhne um neun Prozent gesunken, die Situation der Arbeitenden insgesamt prekärer geworden.

Kant fühlt sich durch die Ergebnisse dieser nach seiner Aussage "ersten quantitativen Simulation des El-Khomri-Gesetzes" ermutigt, die Technik weiterzuentwickeln hin zu einer agentenbasierten Entscheidungshilfe zur Optimierung politischer Maßnahmen. Allerdings blieb in der Diskussion offen, inwieweit das System auch qualitative Veränderungen erfassen kann, also etwa einen grundlegenden Wandel der Bedeutung von Arbeit in einer Gesellschaft. Die Möglichkeit, dass die für den Lebensunterhalt nötigen Güter künftig mehr und mehr automatisiert bereitgestellt werden und menschliche Arbeit sich vorrangig am Bedürfnis nach persönlichem Ausdruck und sozialer Interaktion orientiert, kam jedenfalls nicht zur Sprache. Daher bleiben vorerst Zweifel, ob so eine KI-basierte Simulation geeignet ist, verbreitete Ängste vor KI zu zerstreuen.

Andere im Workshop diskutierte Studien waren da bodenständiger. So berichtete Jaime Sichman (University of São Paulo), wie mithilfe eines Multi-Agentensystems die Ausbreitung des Dengue-Virus modelliert werden kann. Dabei werden die Bewegungen von Menschen ebenso simuliert wie die Bewegungen der Moskitos, die das Virus übertragen, und die verschiedenen Zustände von Menschen und Moskitos: Sie können anfällig, dem Virus ausgesetzt oder von ihm infiziert sein. Für Menschen gibt es außerdem den Zustand "geheilt", was gleichzeitig Immunität gegenüber dem Virus bedeutet. Im Unterschied zu traditionellen Methoden, die die Verbreitung des Virus mithilfe von Differentialgleichungen nur auf der Makroebene beschrieben, könne die agentenbasierte Simulation die Mikroebene der Interaktionen zwischen einzelnen Individuen erfassen und daraus globale Effekte auf der Makroebene ableiten.

Trotz vereinfachter Annahmen habe das System bereits gute Ergebnisse erzielt, so Sichman. Zukünftig soll es weiter verfeinert werden, indem sowohl bei Menschen wie auch bei Moskitos die Geburts- und Todesraten berücksichtigt werden, bei den Moskitos zudem auch die Eier- und Larvenstadien. Auch reale geografische Daten sowie der Wechsel der Jahreszeiten sollen in die Simulation einfließen, um noch bessere Vorhersagen und damit gezieltere Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Krankheit zu ermöglichen.

Auch der Nutzen der von Shrisha Rao (International Institute of Information Technology, Bangalore) vorgestellten Simulationen von Menschen, die in Panik einem Feuer zu entkommen versuchen, leuchtet unmittelbar ein. Einige Ergebnisse können zwar zunächst trivial erscheinen: So braucht es sicherlich keine aufwendige Simulation, um zu begreifen, dass die Position der Türen relativ zum Feuer die Evakuierung beeinflussen. Und natürlich sind mehrere Ausgänge besser als wenige. Gleichwohl können solche Modelle helfen, Engpässe von vornherein zu vermeiden und eine gute Sichtbarkeit rettender Ausgänge zu gewährleisten.

Die Simulation zeigte auch, dass Gruppenbildungen die Evakuierung verlangsamen. Freunde wollen in so einer Situation halt zusammenbleiben. Menschen verhalten sich nicht immer rational und optimal. Daran wird auch KI wohl vorerst nichts ändern können. (olb)